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Kunst verstehen: Marianne von Werefkin malte sich mit roten Augen ...

Kunst verstehen: Marianne von Werefkin malte sich mit roten Augen ...

Volker Barth
04.02.2017, 20:00 Uhr
Beitrag von Volker Barth

Das „Selbstbildnis von 1910“ malte sie im Alter von fünfzig Jahren auf dem Höhepunkt ihres künstlerischen Schaffens. Übrigens: Sie liebte (dokumentiert durch einige Fotografien) mondäne große Hüte. Ihr Lebenspartner Alexej von Jawlensky, empfand ihr Selbstbildnis als eine persönliche Herausforderung - er ruhte nicht eher, bis er nach mehreren Versuchen, auch mit seinem „Selbstbildnis von 1912“ (siehe Bildleiste) Vergleichbares erreichte.

Marianne von Werefkins Selbstbildnis führte zu vielen Unverständlichkeiten - besonders beunruhigend wirken die Augen mit roter Iris und blauer Bindehaut. Außerordentliche Kühnheit in Farbe und Ausdruck präsentiert dieses Bild und ist somit eines der wichtigsten Künstlerselbstporträts des Expressionismuses.

Das Selbstbildnis

Aus einer spontanen Bewegung heraus wendet sich Marianne von Werefkins Antlitz aus dem Dreiviertelprofil gezielt dem Bildbetrachter zu. Der Rot-Dreiklang mit dem „kußechten“ Mund, dem markanten Hut und „diese“ Augen erotisiert. Auf persönliche Attribute und Accessoires wird im Bild verzichtet, ohne diese Nebensächlichkeiten zeigt sich die Porträtierte als Mensch, als reife Frau, die in ihrem Leben viel leistete, litt aber auch „nachdachte“.

Schon zehn Jahre zuvor sagte Marianne von Werefkin selbstsicher über sich: „Wenn ich je auf etwas stolz war, so war ich es auf meinen Verstand. Warum soll ich jetzt, wo er in seiner vollsten Kraft ist, wo er nichts zu befürchten, nichts mit Vorsicht zu handhaben hat, nicht eigene Spuren davon für andere Zeiten aufbewahren?“ Fazit: Diese „furchtlose“ Frau hatte allen Grund von ihren Fähigkeiten überzeugt zu sein.

Es sind eben die Augen, das Zentrum ihres Selbstbildnisses, mit denen Marianne von Werefkin auf einen Körperteil hinweist, der am wenigsten Körper, aber am meisten Geist ist. Welche Bedeutung sie den Augen eines Künstlers zubilligte, formulierte sie bevor sie abermals mit ihrem Malen begann: „Die Welt des Künstlers ist in seinem Auge, dieses wiederum schafft ihm seine Seele. Dieses Auge zu erziehen, um dadurch eine feine Seele zu erlangen, ist die höchste Pflicht des Künstlers“. Und sie behauptete ebenfalls: „Ich lebe nur durch das Auge“.

In der Pinselführung werden in Werefkins Selbstbildnis Erinnerungen an Vincent van Gogh und Paul Gauguin wach. Und was die roten Augen betrifft, so könnte Marianne von Werefkin auch Paul Gauguins Äußerungen im Kopf gehabt haben: „Das heiße Blut pulsiert durch das heiße Gesicht, und die glühenden Farbtöne, welche die Augen umgeben, deuten auf die feurige Lava hin, die in unserer Malerseele lodert.“ Und der Maler Franz Marc stellte fest: „Was die Kunst anbetrifft, so trifft Frau Werefkin bei wesentlichen Fragen den Nagel auf den Kopf.“

Etwas Biografisches

Marianne von Werefkin wurde am 11. September 1860 in Tula/Rußland geboren und wuchs in einer gebildeten und begüterten Adelsfamilie auf; ihre Mutter war Ikonen-Malerin, ihr Vater General. Als die Eltern das außergewöhnliche Talent ihrer Tochter 1874 entdeckten, erhielt sie sofort professionellen Zeichenunterricht - und Ilja Repin, der bedeutendste Maler des russischen Realismuses, wurde 1880 ihr Privatlehrer.

Acht Jahre später erlitt „die Baronin“ Marianne von Werefkin einen Jagdunfall. Sie durchschoss ihre rechte Malhand. Der fehlende Mittelfinger hinderte sie keineswegs bei der Verfolgung weiterer Ziele - eben eine echte „Werefkin“. br

Im Jahre 1892 lernte Marianne von Werefkin den vier Jahre jüngeren, mittellosen Offizier Alexej von Jawlensky kennen, der gerade mit seinem Malen in St. Petersburg begann, während sie schon bei Ausstellungen als „russischer Rembrandt“ betitelt wurde. Sie wusste aber auch, dass „Alexej“ ein Schürzenjäger war, dazu ihr Zitat: „Die Liebe ist eine gefährliche Sache, besonders in den Händen Jawlenskys“.

Sie lehnte eine Heirat ab, nicht zuletzt wegen der großzügigen Rente des Zaren, die sie ja als verheiratete Frau verloren hätte. Trotzdem wollte sie Alexej von Jawlensky als Künstler in jeder Hinsicht fördern und er sollte an ihrer Stelle künstlerisch all das erreichen und verwirklichen, was eben einem „schwachen Weibe“ ohnehin verweigert wurde.b

Sie verfasste sogar diese Zeilen „Drei Jahre vergingen in unermüdlicher Pflege seines Verstandes und seines Herzens. Alles, alles, was er von mir erhielt, gab ich vor zu nehmen – alles, was ich in ihn hineinlegte, gab ich vor, als Geschenk zu empfangen … damit er nicht als Künstler eifersüchtig sein sollte, verbarg ich vor ihm meine Kunst.“

Der Salon der „Giselisten“

Nach dem Tod ihres Vaters zogen am 27. Oktober 1896 Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky nebst Helene Nesnakomoff und Köchin in zwei nebeneinanderliegende Atelierwohnungen, Giselastraße 23, dritte Etage in München-Schwabing. Hier unterhielt sie einen berühmten Salon, in dem sich die Kunstwelt traf und die neusten Entwicklungen diskutierte. Sie war die große Theoretikerin und Anregerin, dominierende Persönlichkeit von außergewöhnlichem Temperament und geistiger Ausstrahlung. Die Künstlerkreise registrierten positiv die Etablierung eines Salons der „international erzogenen“ Tochter eines russischen Festungskomandanten, die „weltgewandt, gescheit und kritisch beredt“ war. Mit Eifer und Esprit wurde über Kunst und Literatur gesprochen. Zahlreiche bildende Künstler, Schriftsteller, Tänzer (z.B.: Alexander Sacharoff) und der durchreisende russische Adel wurden von ihrem Salon „angezogen“. Selbst in den Jahren, in denen sie nicht malte, hatte sie entscheidenden Anteil an kunsthistorischen Diskusionen, auch weil sie sich intensiv mit Strömungen der russischen und französischen Avantgarde beschäftigte.

Gründung einer Brüderschaft
Im Jahre 1897 gründete Marianne von Werefkin in ihrem „rosafarbenen Salon“ die Bruderschaft von Sankt Lukas, deren Mitglieder sich in der Tradition der Lukasgilde (seit dem 15. Jahrh.) verstanden und die letztlich die Keimzelle zur Neuen Künstlervereinigung München (N.K.V.M.) und der Künstlergruppe "Der Blauen Reiter" war.

Und auch das geschah:

Alexej von Jawlensky „dankte“ seiner Lebensgefährtin Marianne, indem er sich mit ihrem jungen „Dienstmädchen“ Helene Nesnakomoff einließ. Am 5. Januar 1902 kam dann „Sohn“ Andreas zur Welt, den er und Marianne von Werefkin aber aus rechtlichen Gründen zunächst als „Jawlenskys Neffen“ ausgaben. Jetzt begann Marianne von Werefkin mit ihrem Tagebuch „Briefe an einen Unbekannten“. Ihr Lebenspartner (mit seinem Hang zum Personal) hatte derart versagt, dass sie einfach einen „Unbekannten“ als Gesprächspartner erfand.

Im Jahre 1906 hatte sie ihre zehnjährige Jawlensky-Krise überwunden, griff abermals zum Pinsel und schuf in der Zeit bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges bahnbrechende, weit in die Zukunft weisende Werke, so eben auch das berühmte „Selbstporträt von 1910“.

Der Wiederbeginn ihrer Malerei

Als Marianne von Werefkin 1906 dann wieder zu malen begann, brachte sie mit ihrem Salon schließlich die „Neue Künstlervereinigung München (NKVM)“ auf den Weg, deren Vorsitz der russische Maler und Kunstlehrer Wassily Kandinsky übernahm. Mit ihm und der Malerin Gabriele Münter hatten sie und Alexej von Jawlensky sich schon zu Beginn ihrer Münchner Zeit (Kunstschule Phalanx) angefreundet. 1910 trat der Maler Franz Marc der NKVM bei und ein Jahr später gründete man die Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“.

Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1. August 1914) mussten innerhalb von 24 Stunden Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky Deutschland verlassen und sie flohen mit ihrem Dienstpersonal Maria und Helene Nesnakomoff und deren Sohn Andreas in die neutrale Schweiz. Per Bahn ging es am 3. August 1914 von München nach Lindau am Bodensee, wo ein Schweizer Schiff auf die Emigranten wartete. Durch die russische Oktoberrevolution (1917) verlor Marianne von Werefkin auch noch ihre "reichliche" zaristische Pension. 1918 ging es dann nach Ascona am Lago Maggiore - hier lebte sie als Staatenlose (seit 1922 ausgestattet mit dem Nansen-Pass) - und die Münchner Wohnung wurde 1920 aufgelöst. Ein Jahr später trennten sich beide und Alexej von Jawlensky zog nach Wiesbaden, wo er im Juli 1922 dann die Mutter seines Sohnes Andreas Helene Nesnakomoff heiratete.

Am Schluß wurde es ärmlich

Völlig verarmt, aber ungebrochen schöpferisch, von guten Freunden unterstützt, schenkte sie viele ihrer Werke der Stadt Ascona (Heute zu bewundern im Museo comunale di Ascona, dem Sitz der Fondazione Marianne Werefkin).

Marianne von Werefkin wurde aber von den Einheimischen ausserordentlich geachtet. Was ansonsten selten war, denn die Einheimischen betrachteten mit grosser Skepsis das bunte und schräge, verrückte, leichte Treiben auf dem "Monte Verita". Am Begräbnis von Marianne von Werefkin auf dem kommunalen Friedhof von Ascona im Februar 1938 nahm fast die komplette Einwohnerschaft teil.

Die Motive der Bilderleiste

Bild 1: Die „Augenpartie“, Detail aus Bild 2 „Marianne von Werefkin, Selbstporträt von 1910“, unsigniert. Bild 3: Gabriele Münter malte 1909 ihre Künstlerfreundin Marianne von Werefkin und notierte „ ... Sie war eine pompöse Erscheinung, selbstbewusst, herrisch, reich gekleidet, mit einem Hut wie ein Wagenrad, auf dem allerhand Dinge Platz hatten.“ Bild 4: Die kleine Ölstudie „Jawlensky und Werefkin“ von Gabriele Münter zeigt das Malerpaar auf einer Wiese liegend, bei einem gemeinsamen Aufenthalt im Juli 1909 in Murnau. Radikale Formvereinfachungen und klare, kräftige Farbkontraste dominieren das Bild. In einem dichten Wiesengrün, dem Blau des Himmels und der Berge sind die beiden Personen und deren Gesichter „nur“ angedeutet. Alle bis hier genannten Motive sind im Besitz der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München. Nun folgt das Foto (Bild 5) Marianne von Werefkin in ihrem Asconaer Atelier (1925). Das 6. Bild: Alexej Jawlensky „Selbstporträt von 1912“.

Links:

(Werefkin - Biografie)
https://de.wikipedia.org/wiki/Marian...on_Werefkin

(Jawlensky - Biografie)
https://www.dhm.de/lemo/biografie/alexej-jawlensky

(München-Schwabing)
https://de.wikipedia.org/wiki/Schwabing

(Blaue Reiter)
http://www.kunst-zeiten.de/Der_Blaue_Reiter

(Monte Verita)
http://www.monteverita.org/de/29/default.aspx

Map-Data:
Städtische Galerie im Lenbachhaus, Luisenstraße 33, 80333 München

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4 Kommentare

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Eine bewundernswerte starke Frau, die nicht aufgegeben hat und trotzt Widrigkeiten des Lebens sich verwirklichen konnte.

Schön das du uns immer wieder über so interessante mahlende Frauen berichtest.
.
Was hat Sie alles, natürlich intellektuell und zeitweise finanziell privilegiert und unabhängig, in turbulente Zeit zwischen 18 und 19 Jahrhundert als Emigrantin erlebt und bewegen dürfen. Wie fiele begabte Menschen hat sie unterstützt und inspiriert.

Aus ihren Leben und wirken in Ascona und bei damals so ungewöhnlich freie lebende "Berg der Wahrheit" ist mir wenig bekannt, muss nachforschen, wie auch über ihre Inspirationen durch Japanische Kunst.
  • 06.02.2017, 11:38 Uhr
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Volker Barth
Ganz lieb Dein ausführlicher Kommentar, danke! - Es gibt ganz gute deutschsprachige Literatur über den "Berg der Wahrheit" (Monte Verita) - sehr lesenswert. Bei Schwierigkeiten könnte ich Dir einige Titel nennen. Viel Kunst und Grüße von Volker
  • 07.02.2017, 10:15 Uhr
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Ich versuche es zu finden, bei Bedarf werde ich auf dein Angebot zugreifen, danke.
  • 11.02.2017, 19:06 Uhr
  • 0
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Lieber Volker danke gleich zweimal, für den Hinweis und diesen Beitrag. Du weißt ja, ich bin kein großer Kunstkenner aber durch dich lerne ich Kunst verstehen und außerdem interressiert mich auch der Künstler als Mensch und du bringst das wirklich in auch für Laien verständlicher Sprache herüber.
Danke und einen schönen Sonntag!
  • 05.02.2017, 09:48 Uhr
  • 0
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