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Kunst verstehen: Tamara de Lempicka war ganz mondän unterwegs ...

Kunst verstehen: Tamara de Lempicka war ganz mondän unterwegs ...

Volker Barth
03.06.2017, 20:00 Uhr
Beitrag von Volker Barth

Der Sommer soll einfach mal kommen und auch die Freude auf ein rasantes sonniges Pfingstwochenende. Man will es genießen und wünscht sich „Cabrio“wetter, oder?

Zu diesen Wünschen stelle ich ein exquisites Gemäldemotiv vor, das die polnisch-russische Malerin Tamara de Lempicka schuf. Das Bild wird unter verschiedenen Titeln wie z.B.: „Autoporträt“, „Mein Porträt“ oder „Tamara im grünen Bugatti“ gezeigt und wurde 1929 gemalt. Es soll eine Auftragsarbeit von der Redaktion der Berliner Fauenzeitschrift „Die Dame“ sein. Für diese Zeitschrift entwarf Tamara de Lempicka seit 1927 mehrere Titel: auch das Motiv von 1929 „St. Moritz“ (Eine junge Frau in einem rotweißen Pullover und einem Skistock). Diese Story gehört auch noch dazu: Die "Dame"-Herausgeberin übermittelte der Künstlerin folgenden Text „Sie sehen so großartig in ihrem Wagen aus, dass ich gerne Ihre Bekanntschaft machen würde“ und bat sie, ein Gemälde von sich in ihrem gelben Renault zu malen. Übrigens: Der Verlag Axel Springer plant erneut die Zeitschrift „Die Dame“ als Hybrid aus Katalog, Buch und Zeitschrift herauszugeben.

... nun zum Gemälde

Die Künstlerin selbst befindet sich auf einer Spritztour mit einem exklusiven Automobil, es soll ein grüner Bugatti (aber unbekannter Typ) sein. Laut Wikipedia „Bugatti war ein Automobilhersteller in Molsheim im Elsass (...) Die von Bugatti gefertigten Fahrzeuge gehörten zu den erfolgreichsten Rennwagen sowie den edelsten und besten Sportwagen und Limousinen ihrer Zeit und machten die Marke zu einer Legende (...) 1998 übernahm der Volkswagen-Konzern die Design- und Namensrechte. Seitdem existiert Bugatti weiter als Bugatti Automobiles S.A.S.“ - Und die Nobelmarke Porsche feiert nun mit dem 911er das millionste Modell, das erste hatte übrigens die Farbe "irischgrün".

Tamara de Lempicka tritt in ihrem Gemälde (Selbstbildnis) als elegante, emanzipierte und fortschrittliche Frau auf. Sie ist sportlich und exklusiv gestylt, trägt einen graue Umhang mit verspieltem Kragen und hat ihre linke Hand mit einem hellbraunem Handschuh am schwarze Lenkrad. Eine sehr modische Fahrer(innen)haube mit Kinnriemen schützt ihre blonde Frisur, wobei nur eine winzige Strähne auf Ohrhöhe zu sehen ist. Ein knallroter (Kuss)mund und ein forscher bis lasziver Blick mit (geschminkten) blauen Augen "flirtet" mit dem Bildbetrachter.

Die Biografie einer Diva

Die biographischen Daten um Tamara de Lempicka herum sind in der Literatur oftmals widersprüchlich, hier eine unspektakuläre Version: Als Maria Gorska wurde sie am 16. Mai 1898 in Warschau geboren, hatte einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester und man lebte in einem wohlhabenden Milieu. 1911 reiste sie mit ihrer Großmutter mütterlicherseits nach Italien, wo sie ihre Liebe zur Kunst entdeckte. Durch die Elternscheidung schickte ihre Großmutter sie in eine Lausanner Schule, während der großen Ferien war sie aber in St. Petersburg und schrieb sich an der Kunstakademie ein. Hier heiratete sie 1916 den jungen Anwalt Graf Tadeusz Lempicki, der nach der Oktoberrevolution Dezember 1917 verhaftet wurde. Seine Frau erreichte die Freilassung durch den schwedischen Konsul (Beischlaf für Pässe). Die bolschewistische Revolution erzwang also die Flucht von Tamara de Lempicka, ihrem Mann, ihren Eltern und ihre Schwester über Kopenhagen nach Paris (1918). Hier wurde Tochter Kizette 1920 geboren.

In der französischen Hauptstadt gelang es Tamaras Ehemann nicht eine passende Beschäftigung zu finden, so entschloss sie sich den Lebensunterhalt durch Malerei zu verdienen und setzte ihr in St. Petersburg begonnenes Kunststudium jetzt in Paris fort - sie wurde Schülerin von Maurice Denis und Andre Lhote.

Ein ganz entscheidendes Jahr

Als 1925 mit der Exposition internationale des Arts Decoratifs et industriels modernes (für den Stilbegriff namensgebende Art-Deco-Ausstellung) stattfand, war Tamara de Lempicka mit einigen Bildern vertreten und erregte das Interesse eines breiten Publikums - innerhalb kurzer Zeit wurde sie zu einer der gefragtesten Künstlerinnen. Und in Mailand in der „Bottega di Poesia“ erhielt sie gleichfalls große öffentliche Anerkennung, wobei einflussreiche Bekanntschaften entstanden, so auch zu dem Dichter und Politiker Gabriel d‘Annunzio.

Ein berüchtigter "Schürzenjäger"

Er beauftragte Tamara de Lempicka 1926 mit einem Porträt und sie besuchte ihn auch in seiner berühmten Villa „Il Vittoriale“ am Gardasee - angeblich: um ihn zu malen, tatsächlich aber, um sich auf eine Liebesaffäre mit ihm einzulassen. Dazu berichtete d‘Annunzios Haushälterin Aelis in ihren Tagebüchern „und eines Nachts überwindet sie ihre Scheu sogar so weit, dass sie sich von ihm leibkosen lässt. Doch als er sie fragt, ob er „kommen darf“, antwortet sie ihm ja, aber nur bekleidet.“ Frustriert flüchtete Tamara de Lempicka dann morgens und somit wurde aus dem "Dichtergemälde" nichts.

Tamara de Lempickas Gemälde kombinieren kühle, an Renaissancebilder erinnernde Sachlichkeit mit sinnlicher Ausdrucksweise. Sie selbst inszenierte sich bis ins Kleinste als Diva, pflegte lesbische Beziehungen, hatte reihenweise Affären und verkehrte stets in Hautevolee-Kreisen. In Paris (7 rue Méchain) bezog sie, ein vom Architekten des Hauses, Robert Mallet-Stevens, eingerichtetes Appartement, das ihr als Salon, Wohnung und Atelier ausgiebig diente.

Im Jahre 1928 ließ sie sich von ihrem Mann scheiden und in der frühen Zeit des Nationalsozialismus (1934) heiratete sie dann auf einer Seereise den ungarischen verwitweten Industriellen Raoul Baron Kuffner de Dioszegh. Der Baron stammte aus einer geadelten jüdischen Familie, war in Wien geboren und besaß ein beträchtliches Vermögen in Ungarn. Die "Familie Lempicka-Kuffner" blieb dann 1939 (offizielle Version) nach einem Urlaub in den USA. Tatsächlich aber war die Übersiedlung von langer Hand vorbereitet. Tamaras Ehemann Baron Raoul von Kuffner ließ heimlich sein Anwesen in Ungarn räumen und brachte Wertgegenstände und Antiquitäten nach Amerika. Tamara de Lempicka hatte ihn schon vorm Ausbrechen des Krieges überzeugt, seine wichtigsten ungarischen Besitztümer zu verkaufen und das Geld in der Schweiz unterzubringen.

Tamara de Lempicka (Baroness de Kuffner) lebte zunächst in Los Angeles, später in New York und bis 1974 in der Nähe ihrer Tochter Kizette Foxhall in Houston. Danach siedelte sie 1978 nach Mexiko über und starb am 16. März 1980 in Cuernavaca. Gemäß ihres Willens wurde ihre Asche über dem Vulkan Popocatepetl verstreut.

Noch Kunstgeschichtliches zu ihren Arbeiten

Ihr „Kunst“lehrer Andre Lhote, der die Theorie eines gemäßigten Kubismus vertrat, übte entscheidenden und nachhaltigen Einfluss auf Tamara de Lempicka aus. Durch die blendende Beherrschung der Maltechnik machte sie schnell große Fortschritte und überflügelte ihren Lehrer in der Schärfe ihres Blicks. Sie war sehr neugierig auf ihre Umgebung, deren Eitelkeiten, Spannungen und Verführungen.

Tamara de Lempicka war Mitte Zwanzig als sie voluminöse, sinnliche wie kühl-erotische Lifestyle-Portraits von der damaligen Pariser High Society - vor allem weibliche (mit lesbischen Neigungen) anfertigte. Ihre Karriere war rasant, binnen kurzer Zeit wurde sie gefragte Porträtmalerin. Sie wurde die skandalumwitterte, glamouröse „Diva“, die schnell und exzessiv in der Luxuswelt von Paris lebte.

Viele Werke sind in Privatbesitz

Wer Bilder von Tamara de Lempicka in Museen sucht, wird kaum fündig. Fast alles von ihr ist in Privatbesitz, einige Arbeiten aber stiftete sie Pariser Museen - und Ausstellungen müssen eben Leihgaben aus aller Welt zusammensammeln. In der Kunstgeschichte bekam sie lange keinen rechten Platz zugewiesen, sie galt als eine provokante - mehr dem Kommerz zugetane Randerscheinung. Aber sie hatte stets Bewunderer und bekannte Sammler wie den US-Schauspieler Jack Nicholson und die US-Sängerin Madonna.

Deutschlands Modezar Wolfgang Joop ließ 2009 acht seiner zehn Lempicka-Werke nach langem Besitz bei Sotheby‘s in New York erfolgreich versteigern. Weshalb sich der Modeschöpfer sich von seinen exklusiven Bildern trennen wolle, verriet er in einem Interview „Ich möchte keine Auseinandersetzung mehr mit Kunstwerken anderer Leute. Ich lebe noch mit ein paar Rokoko-Gemälden, ansonsten habe ich alles fortgegeben.“ Entscheidend sei aber auch gewesen, dass die Lempicka-Bilder „eigentlich nie bei mir zu Hause waren. Nur mit zweien von ihnen habe ich wirklich gelebt. Die anderen waren immer weltweit in Museen unterwegs.“

Links:

(Tamara de Lempicka - Biografie)
http://www.fembio.org/biographie.php...e-lempicka/

(Bugatti - Automobil)
https://de.wikipedia.org/wiki/Bugatti_Automobiles

(Ernest Hemingway „Paris“)
http://www.zeit.de/2011/27/L-B-Hemingway

(Ausstellung Kunstforum Wien)
http://www.kunstmarkt.com/pagesmag/k...html?_q=%20

(Tages Anzeiger - Artikel)
http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/k...ry/30475912

Map-Data:
Musee National d‘Art Moderne im Centre Georges Pompidou, Place Georges Pompidou, 75004 Paris

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8 Kommentare

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Ein toller Beitrag über eine klasse Künstlerin! Danke Volker...
  • 04.06.2017, 21:46 Uhr
  • 1
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Ich bin schon seit Langem ein Fan ihrer Kunst. Ich mag diese plakativen, großformatigen Bilder sehr!

Vielen Dank für den Beitrag.
  • 04.06.2017, 11:30 Uhr
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Volker Barth
... so kann ich ja recht froh sein, diesen Beitrag veröffentlicht zu haben. Meinen Dank für Dein Lob von Volker
  • 04.06.2017, 12:35 Uhr
  • 0
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Kompliment mein Lieber! Danke! Ich mag "SIE" sehr!! Schöne Pfingsten!! LG Erika
  • 04.06.2017, 11:03 Uhr
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Volker Barth
Deine Begeisterung hat mich erfreut, alles Schöne wünscht Volker
  • 04.06.2017, 12:27 Uhr
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Hallo Volker, herrlich dein Beitrag, vielen Dank auch für die tollen Links
  • 04.06.2017, 09:59 Uhr
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Volker Barth
Danke für Dein positives Urteil und ganz speziell für den "Links-Hinweis", denn bei wize.life ist die Resonanz darauf sehr, sehr spärlich - ich will diesen "Service" aber fortsetzen! In diesem Sinne alles Liebe von Volker
  • 04.06.2017, 12:25 Uhr
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schade das die Resonanz nicht so gut ist - ich jedenfalls freu mich sehr auf mehr
liebe Grüße, Dagmar
  • 04.06.2017, 16:18 Uhr
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