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Syrien und die Flüchtlingskrise in Europa – ein Erklär-Video

Syrien und die Flüchtlingskrise in Europa – ein Erklär-Video

20.09.2015, 00:12 Uhr
Beitrag von wize.life-Nutzer

Zum Nachlesen: Die Übersetzung des beiliegenden Youtube-Clips

In Sommer 2015 erlebte Europa den größten Anstieg an Flüchtlingen seit dem 2. Weltkrieg. Warum? Hauptsächlich, weil Syrien zur weltweit größten Ursache für Flüchtlinge wurde.

Syrien liegt im mittleren Osten, ein antikes, fruchtbares Land, besiedelt seit mindestens 10.000 Jahren. Seit den 1960ern wird es von der Al-Assad-Familie geführt, die es als quasi-Diktatoren regierten, bis zum ‚Arabischen Frühling‘ in 2011: eine revolutionäre Bewegung von Protesten und Konflikten in der arabischen Welt, die viele autoritäre Regimes zum Sturz brachte.

The European Refugee Crisis and Syria Explained
The European Refugee Crisis and Syria Explained

Aber die Assads verweigerten ihren Rücktritt und starteten einen brutalen Bürgerkrieg. Verschiedene Ethnizitäten und religiöse Gruppen bekämpften sich in wechselnden Vereinigungen, ISIS, eine militaristische, dschihadistische Gruppe nutzte die Möglichkeit, mit dem Ziel, ein totalitäres islamisches Kalifat zu errichten. Schnell wurde daraus eine der weltweit gewalttätigsten und erfolgreichsten Extremisten-Organisationen. Alle Parteien begingen Kriegsverbrechen wie chemische Waffen, Massenhinrichtungen, Folter und wiederholt tödliche Angriffe auf Zivilisten.

Die syrische Bevölkerung war gefangen zwischen dem Regime, Rebellengruppen und religiösen Extremisten. Ein Drittel der Syrer wurde aus ihrer Heimat innerhalb Syriens vertrieben. Und über 4 Millionen sind aus dem Land geflohen. Die große Mehrheit davon in Flüchtlingslager der Nachbarländer, welche sich um 95% der Flüchtlinge kümmern, während die arabischen Golfstaaten zusammen gar keine Syrer aufgenommen haben, was von Amnesty International als besonders beschämend bezeichnet wurde.

Die UN und die Organisation World Food Programme waren auf die Ausmaße der Flüchtlingskrise nicht vorbereitet, daher sind viele Flüchtlingslager überfüllt und unterversorgt, weshalb Menschen unter Kälte, Hunger und Krankheiten leiden. Die Syrer haben die Hoffnung verloren, dass sich ihre Situation in absehbarer Zeit verbessern wird, daher suchen viele Asyl in Europa.

Zwischen 2007 und 2014 hat die EU 2 Milliarden Euro in Abwehr, Hochsicherheitstechnik und Grenzpatrouillen investiert, aber nicht viel für die Vorbereitung einer Flüchtlingszunahme. Daher war sie schlecht vorbereitet für den Ansturm der Asylsuchenden.

In der EU muss ein Flüchtling in dem ersten Ankunftsland bleiben, was enormen Druck für die angeschlagenen Grenzstaaten bedeutet. Griechenland, mitten in einer Krise, ähnlich der ‚Großen Depression‘, konnte nicht so viele Menschen auf einmal aufnehmen, was zu verzweifelten Szenen führte, wie Hungernde auf Inseln, wo sich sonst Touristen erholen.

Die Welt hätte sich zusammenschließen und vereint agieren müssen, aber stattdessen wurde sie noch mehr gespalten. Viele Staaten verweigerten schlicht die Aufnahme von Flüchtlingen und lassen die Grenzstaaten im Stich. 2014 sorgte Großbritannien für den Stopp der Hilfsaktion ‚Mare Nostrum‘, die das Ertrinken von Asylsuchenden im Mittelmeer verhindern sollte. Die Idee, so schien es, war, dass eine höhere Todeszahl auf dem Meer zu weniger Flüchtlingen führt.

Aber das ist nicht, was geschah. Die Weltanschauung rund um die Krise änderte sich plötzlich, als Fotos eines toten syrischen Jungen den Umlauf machten, welcher an einem Strand in der Türkei gefunden wurde.

Deutschland kündigte an, dass es ausnahmslos alle syrischen Flüchtlinge aufnehmen wird, und bereitete sich darauf vor, 800.000 Menschen im Jahr 2015 aufzunehmen, mehr als die gesamte EU in 2014 aufgenommen hat, um wenige Tage später temporäre Grenzkontrollen einzuführen und eine EU-weite Regelung einzufordern. Im ganzen Westen fangen mehr und mehr Leute an, etwas zu unternehmen. Doch die Unterstützung für die Asylsuchenden kommt hauptsächlich von Bürgern, nicht von Politikern.

Aber es gibt auch Ängste in der westlichen Welt. Islam, hohe Geburtenraten, Kriminalität und der Zusammenbruch des sozialen Systems. Lasst es uns anerkennen, aber schauen wir einmal auf die Fakten:
• Selbst wenn die EU allein alle 4 Millionen syrischer Flüchtlinge aufnehmen würde, und 100% von ihnen Muslime wären, würde der Prozentsatz der Muslime in der EU gerade einmal von 4% auf 5% steigen. Das ist keine drastische Veränderung und macht aus Europa sicher keinen muslimischen Kontinent. Eine muslimische Minderheit ist weder neu noch ein Grund zur Beunruhigung.

• Geburtenraten in vielen Teilen der westlichen Welt sind gering, also haben einige Angst davor, dass die Asylsuchenden in ein paar Jahrzehnten die einheimische Bevölkerung überholen. Studien haben jedoch belegt, dass obwohl die Geburtenrate unter Muslimen in Europa höher ist, sie eher sinkt und sich an die steigenden Lebens- und Bildungsstandards anpasst.

• Die meisten syrischen Flüchtlinge sind bereits gebildet, die Geburtenrate war in Syrien vor dem Bürgerkrieg nicht sehr hoch, und die Einwohnerzahl sank sogar, anstatt zu steigen.

• Die Angst, dass Flüchtlinge zu höheren Verbrechensraten führen, stellt sich als unbegründet heraus. Flüchtlinge, die zu Einwanderern werden, neigen sogar seltener dazu, Verbrechen zu begehen, als die einheimische Bevölkerung.

• Wenn ihnen erlaubt wird, zu arbeiten, neigen sie eher dazu, Unternehmen zu gründen und sich auf schnellstem Weg in die Arbeiterschaft zu integrieren, wodurch sie mehr ins soziale System einzahlen, als sie daraus beziehen.

• Syrer, die in den Westen kommen, sind potentielle Fachkräfte, welche dringend gebraucht werden, um Europas alternde Bevölkerung zu unterstützen.

• Ein weit verbreiteter Irrglaube ist es außerdem, dass Flüchtlinge, die Smartphones besitzen, gar keine wirkliche Hilfe benötigen. Soziale Medien und das Internet wurden zu einem lebensnotwendigen Bestandteil eines Flüchtlings. GPS wird dazu genutzt, den langen Weg nach Europa zu finden; Facebook-Gruppen stellen Tipps und Informationen über Hindernisse in Echtzeit. Das beweist nur, dass diese Menschen wie wir sind: Wenn du eine gefährliche Reise auf dich nehmen würdest, würdest du dein Handy zu Hause lassen?

Die EU besteht aus den ertragreichsten Wirtschaften der Welt, gut durchdachte Staaten mit funktionierenden sozialen Systemen, Infrastruktur, Demokratie und gewaltige Industrien. Sie kann die Herausforderung der Flüchtlingskrise bestehen. Das kann ebenfalls von der gesamten westlichen Welt behauptet werden.

Doch während das kleine Jordanien mehr als 600.000 Flüchtlinge aufgenommen hat, hat Großbritannien, welches ein 78 mal höheres Bruttoinlandsprodukt hat, gerade einmal die Aufnahme von 20.000 Syrern innerhalb der nächsten 5 Jahre bestätigt. Die USA akzeptiert 10.000, Australien 12.000 Flüchtlinge.

Insgesamt werden die Dinge langsam besser, aber nicht schnell genug.

Wir schreiben gerade Geschichte, doch wie soll man sich an uns erinnern? Als fremdenfeindliche, reiche Feiglinge, die sich hinter Zäunen verstecken? Wir müssen begreifen, dass diese Menschen, die vor Tod und Zerstörung fliehen, nicht anders sind als wir. Wenn wir sie in unsere Länder und Gesellschaften integrieren und akzeptieren, gewinnen wir viel dazu. Es gibt aber nur Verluste, wenn wir diese Krise ignorieren. Mehr tote Kinder werden an die Strände gespült, wenn wir nicht aus Menschlichkeit und Vernunft handeln. Lasst es uns richtig machen und unser Bestmöglichstes versuchen.

Anmerkung:
Seit 1945 sind rund 2 Millionen Flüchtlinge nach Österreich gekommen, 700.000 sind geblieben. Wir haben dadurch hier keine Probleme - auch nicht mit den 60.000 Muslimen aus Bosnien, die nach der Flucht dauerhaft bei uns geblieben sind.

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50 Kommentare

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Wir sollten aber nicht nachlassen in der Bestrebung, die jungen Leute aus Syrien und Irak daran zu erinnern, dass es ihre "verdammte Pflicht und Schuldigkeit" ist, zu ihren Frauen, Kindern und Familien wieder zurückzukehren und das Land ihrer Väter wieder aufzubauen.

Aleppo z.B. ist frei von Rebellen.
Der Aufbau der zu 2/3n zerstörten Stadt beginnt bereits.

Wir sollten sie nicht dazu ermuntern, sich bei uns niederzulassen, denn das würde ihnen - nicht uns - auf die Füße fallen..
  • 29.06.2017, 14:25 Uhr
  • 1
Ich tue mir schwer, jemandem zu raten, wo er/sie hingehört. Von den 90.000 bosnischen Flüchtlingen, die während des Krieges zu uns nach Österreich gekommen sind, sind 60.000 geblieben und haben sich integriert. Ich denke, auch den Syrern kann man es nicht vorschreiben, wo sie leben sollen.

Innerhalb der EU gibt es doch auch Niederlassungsfreiheit für EU-Bürger. Und die brauchen nicht einmal Sprachkenntnisse vorweisen, um eine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen.
  • 29.06.2017, 19:19 Uhr
  • 1
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Nicht die Assads haben diesen Bürgerkrieg begonnen, sondern die Rebellen welche gegen sie mit Waffengewalt vorgingen.
Wenn man sich fragt und genauer hinschaut wer eigentlich diese Rebellen mit Waffen und Geld unterstützt, kennt man den eigentlichen Urheber dieses Unglücks welche die syrische Bevölkerung heimsuchte.
  • 29.06.2017, 10:57 Uhr
  • 1
So gut wie alle Revolutionen sind gewaltsam erfolgt. Ziel war die Demokratisierung Syriens, der sich Assad bis heute entgegenstellt. Von Anfang an wurden die Freischärler von den USA unterstützt.
Dass nicht alle Rebellen wirklich an der Demokratisierung interessiert waren, hat sich später gezeigt: Teile davon waren der Al-Qaida zuzurechnen, aus denen der IS hervorgegangen ist. Man kann nun der Ansicht sein, ohne die Unterstützung der USA hätte der IS nicht so stark werden können.
  • 29.06.2017, 11:30 Uhr
  • 2
Es ist wie in der Ukraine. Man wagt keinen offenen Krieg um an die Reichtümer dieses Landes zu kommen, sondern man entzettelt einen Bürgerkrieg und dazu sind alle Gruppierungen recht. Man will ja (noch) keinen offenen Konflikt mit Russland.
  • 29.06.2017, 11:35 Uhr
  • 2
Stellvertreterkriege finden immer wieder statt, siehe gerade aktuell im Jemen. Dort bekämpfen sich in Wirklichkeit Saudi-Arabien und der Iran.
  • 29.06.2017, 11:42 Uhr
  • 2
Also nüscht mit der "Demokratisierung". Man kann Demokratie oder welche Gesellschaftsordnung auch immer, nicht den Völkern aufzwingen, sie müssen es mehrheitlich wollen.
  • 29.06.2017, 11:50 Uhr
  • 2
Und auch dann klappt es meist nicht sofort. Ein gutes Beispiel ist die Französische Revolution. Erst 80 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille wurde Frankreich eine Republik.
  • 29.06.2017, 11:52 Uhr
  • 2
  • 29.06.2017, 11:53 Uhr
  • 1
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Ein sehr guter Bericht...doch die Alltagssituation ist durchaus anders...ein kleinerer Ort in meiner Nähe hat eine leerstehende Kaserne in der nun seit zwei Wochen ca 1.200 Flüchtlinge untergebracht sind. 2 mal die Woche kommt da ein Putzdienst und sie werden von einem Cateringunternehmen foodtechnisch verpflegt. Leider hat ein Grossteil der dortigen Supermärkte, Tankstellen und anderer Einzelhändler die Erfahrung machen müssen, daß die Flüchtlinge (erkennbar an einem gelben Band um das Handgelenk) sich einfach Waren (überwiegend Lebensmittel) aus den Regalen nehmen und diese durch den Laden schlendernd verzehren, aber eben nicht bezahlen können oder wollen...auch wurden Zigaretten und alkoholische Getränke entwendet...was nun dazu geführt hat, das diese Einzelhändler ein Hausverbot ausgesprochen haben und teilweise Security-Personal (welches sie selber bezahlen müssen) vor den Läden stehen haben...und keine Flüchtlinge in die Läden lassen....
  • 24.09.2015, 19:26 Uhr
  • 1
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Merci für diesen sehr gut recherchierten und dargestellten Beitrag.
Ich hoffe, viele lesen ihn
  • 20.09.2015, 23:16 Uhr
  • 2
Danke
  • 21.09.2015, 00:24 Uhr
  • 1
" Doch die Unterstützung für die Asylsuchenden kommt hauptsächlich von Bürgern, nicht von Politikern. "
Traurig, aber leider wahr.
  • 21.09.2015, 20:54 Uhr
  • 2
Die Menschen sind eben besser als ihre Regierungen
  • 21.09.2015, 21:28 Uhr
  • 1
ja Assya, sie kennen den Alltag und können helfen bei Alltagsproblemen. Und sie sind nicht irgendwelchen Psrteiprogrammen verpflichtet. Da ist einfach nur "Mensch sein" gefagt. Gott sei Dank
  • 21.09.2015, 21:37 Uhr
  • 1
  • 21.09.2015, 21:45 Uhr
  • 0
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Ein sehr lesenswerter Bericht . Ich hoffe viele lesen ihn und manche überdenken ihre Sichtweise .
  • 20.09.2015, 22:41 Uhr
  • 1
Danke Uschi. Wäre schön, ein paar Skeptiker zum Nachdenken zu bringen.
  • 20.09.2015, 22:54 Uhr
  • 1
Hoffe doch sehr . LG
  • 20.09.2015, 22:55 Uhr
  • 1
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danke für diesen Bericht.Ich hoffe auch dass "Wir" eine gute Erinnerung in der "Geschichte" hinterlassen.
  • 20.09.2015, 22:08 Uhr
  • 1
Das hoffe ich auch, die Menschen sind besser als ihre Regierungen
  • 20.09.2015, 22:50 Uhr
  • 1
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wie wahr !
https://www.seniorbook.de/schwarzes-...0bd118b4574
  • 20.09.2015, 16:14 Uhr
  • 0
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Danke für diesen Beitrag
Ich hoffe es lesen ihn viele
  • 20.09.2015, 15:17 Uhr
  • 2
Danke Michaele. Noch schöner wäre es, die Skeptiker dadurch zum Nachdenken zu bringen.
  • 20.09.2015, 15:26 Uhr
  • 2
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Diesen Beitrag zu Lesen ist ein absolutes MUSS !!!!
  • 20.09.2015, 14:52 Uhr
  • 1
Danke Waltraud
  • 20.09.2015, 14:59 Uhr
  • 1
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Sehr guter Beitrag
Eines darf man jedoch nicht übersehen: Salafisten stehen "Gewehr bei Fuß" um - oft als Helfer getarnt, unter den Neuankömmlingen "Gotteskrieger" zu rekrutieren.
Bei der Gelegenheit würde mich mal interessieren, wieso salafistische Organisationen nicht längst als verfassungsfeindlich verboten wurden.
  • 20.09.2015, 12:10 Uhr
  • 2
In Deutschland haben sich rund 7000 Muslime als Salafisten deklariert. die meisten davon sind aber nicht gewaltbereit. Dennoch finde auch ich manches an ihrer Ideologie bedenklich.
  • 20.09.2015, 12:14 Uhr
  • 2
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