Angst essen Seele auf
Das gleichnamige filmische Melodram von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahre 1974 liegt zwar weit zurück, doch ist seine Thematik so aktuell wie nie zuvor. Die Zahl der Bundesbürger mit offener oder versteckter Fremdenfeindlichkeit ist durch den Zustrom von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens und Afrikas erheblich angewachsen. Als Hauptursache für diese Erscheinung lässt sich zweifellos eine diffuse, meist irrationale Angst vor dem Unbekannten, vor Bedrohung durch Kontrollverlust ausmachen. Wenn das Unbekannte bedrohlich wirkt und Angst erzeugt, gibt es nur ein Mittel, diese Angst zu zerstreuen oder zu mildern: man sollte versuchen, das Objekt der Angst näher kennenzulernen. Meistens verschwindet das Angstgefühl, wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat. Es ist nicht immer leicht, den ersten Schritt zu tun – aber es ist möglich.
Der folgende Text beschreibt einen solchen Kennenlernprozess aus unseren Tagen:
Ich will sie sehen, vor denen ich Angst habe – darf ich?
Wir besuchten eine kleine Wohnung eines syrischen Flüchtlings. Meine Frau arbeitet ein paar Stunden in der Woche für hier Gestrandete. Sie klagen, dass der Fußboden so kalt ist. Echt? Aha, sie gehen nach ihrer Kultur immer barfuß in der Wohnung, wir schauen etwas bekümmert auf unsere Schuhe hinunter, die sich in der plötzlich wahrgenommenen perfekten Reinlichkeit unpassend ausnehmen.
Wir hatten einen Teppich mitgebracht, ach dazu ist er nun gut! Wir haben doch so viel Ungebrauchtes auf dem Boden liegen! Nun wird es wärmer sein. Die überwältigende Dankbarkeit macht uns verlegen, sie kochen uns Tee mit Zimt – wir reden und reden. Er erzählt: er stand im Haus an einer Wand, als eine Panzergranate einschlug, er wurde im Beton begraben, ein Oberschenkel zerschmettert, ein halbes Jahr Hospital – er trainiert hier eisern Fußball, er will wieder fit wie einst werden.
An der Wand hängt eine syrische Nationalflagge, darüber ist ein Deutschland-Fußball-Nationalmannschaftsschal gehängt. Die Wand ist mit Grammatikregeln der deutschen Sprache übersät. Wir stehen davor und lernen deutsch. Aha, alle Wörter mit den Endungen –keit und –heit sind weiblich! Das wusste ich nicht. Ich weiß nur, dass Schiffe im Englischen weiblich sind... Oh, auch schon wieder falsch? Die Tendenz geht zum Neutrum. Die Endung –schaft macht auch weiblich und „zum“ ist „zu dem“. Der Deutschunterricht scheint so exakt und dröge zu sein, wie – ach ich erinnere mich...
Bestimmt lernen sie in den Lektionen etwas über Bismarck, so wie wir in Englisch mit den Pilgrim Fathers befasst wurden. Ach Leute, man müsste ihnen erklären, wie man zu viert eine S-Bahn-Fahrkarte nach Heidelberg zieht (Gruppenkarte!) oder welche Lehrstellen in der Gegend offen sind. Um solche Fragen kümmert sich nun ein Arbeitskreis. Um die praktischen! Der Syrer, der jetzt unseren
Teppich hat, hat im Gastgewerbe gearbeit. Für ihn gibt es ganz sicher Stellen, aber wohl keine Arbeitsgenehmigung. Unsere KFZ-Werkstatt fand einen Afrikaner, der ein echtes Händchen für Autos hat und bietet ihm sofort eine Lehrstelle – sie warten auf eine Genehmigung. [....]
Die ganze Geschichte können Sie hier lesen:
http://www.omnisophie.com/dd279-ich-...vember-279/
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