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Angst essen Seele auf - ein Erlebnisbericht

Angst essen Seele auf - ein Erlebnisbericht

30.11.2016, 13:03 Uhr
Beitrag von wize.life-Nutzer

Angst essen Seele auf

Das gleichnamige filmische Melodram von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahre 1974 liegt zwar weit zurück, doch ist seine Thematik so aktuell wie nie zuvor. Die Zahl der Bundesbürger mit offener oder versteckter Fremdenfeindlichkeit ist durch den Zustrom von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens und Afrikas erheblich angewachsen. Als Hauptursache für diese Erscheinung lässt sich zweifellos eine diffuse, meist irrationale Angst vor dem Unbekannten, vor Bedrohung durch Kontrollverlust ausmachen. Wenn das Unbekannte bedrohlich wirkt und Angst erzeugt, gibt es nur ein Mittel, diese Angst zu zerstreuen oder zu mildern: man sollte versuchen, das Objekt der Angst näher kennenzulernen. Meistens verschwindet das Angstgefühl, wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat. Es ist nicht immer leicht, den ersten Schritt zu tun – aber es ist möglich.

Der folgende Text beschreibt einen solchen Kennenlernprozess aus unseren Tagen:

Ich will sie sehen, vor denen ich Angst habe – darf ich?


Wir besuchten eine kleine Wohnung eines syrischen Flüchtlings. Meine Frau arbeitet ein paar Stunden in der Woche für hier Gestrandete. Sie klagen, dass der Fußboden so kalt ist. Echt? Aha, sie gehen nach ihrer Kultur immer barfuß in der Wohnung, wir schauen etwas bekümmert auf unsere Schuhe hinunter, die sich in der plötzlich wahrgenommenen perfekten Reinlichkeit unpassend ausnehmen.
Wir hatten einen Teppich mitgebracht, ach dazu ist er nun gut! Wir haben doch so viel Ungebrauchtes auf dem Boden liegen! Nun wird es wärmer sein. Die überwältigende Dankbarkeit macht uns verlegen, sie kochen uns Tee mit Zimt – wir reden und reden. Er erzählt: er stand im Haus an einer Wand, als eine Panzergranate einschlug, er wurde im Beton begraben, ein Oberschenkel zerschmettert, ein halbes Jahr Hospital – er trainiert hier eisern Fußball, er will wieder fit wie einst werden.
An der Wand hängt eine syrische Nationalflagge, darüber ist ein Deutschland-Fußball-Nationalmannschaftsschal gehängt. Die Wand ist mit Grammatikregeln der deutschen Sprache übersät. Wir stehen davor und lernen deutsch. Aha, alle Wörter mit den Endungen –keit und –heit sind weiblich! Das wusste ich nicht. Ich weiß nur, dass Schiffe im Englischen weiblich sind... Oh, auch schon wieder falsch? Die Tendenz geht zum Neutrum. Die Endung –schaft macht auch weiblich und „zum“ ist „zu dem“. Der Deutschunterricht scheint so exakt und dröge zu sein, wie – ach ich erinnere mich...
Bestimmt lernen sie in den Lektionen etwas über Bismarck, so wie wir in Englisch mit den Pilgrim Fathers befasst wurden. Ach Leute, man müsste ihnen erklären, wie man zu viert eine S-Bahn-Fahrkarte nach Heidelberg zieht (Gruppenkarte!) oder welche Lehrstellen in der Gegend offen sind. Um solche Fragen kümmert sich nun ein Arbeitskreis. Um die praktischen! Der Syrer, der jetzt unseren
Teppich hat, hat im Gastgewerbe gearbeit. Für ihn gibt es ganz sicher Stellen, aber wohl keine Arbeitsgenehmigung. Unsere KFZ-Werkstatt fand einen Afrikaner, der ein echtes Händchen für Autos hat und bietet ihm sofort eine Lehrstelle – sie warten auf eine Genehmigung. [....]

Die ganze Geschichte können Sie hier lesen:

http://www.omnisophie.com/dd279-ich-...vember-279/

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7 Kommentare

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Friedhelm, dein Rezept mag nützlich sein für Menschen, mit denen man reden kann, aber es werden leider immer mehr, die keinem vernünftigen Argument mehr zugänglich sind. Sie haben sich in ihre Ablehnung, ihren Hass so hineingesteigert, dass man fast schon von Hysterie sprechen kann.
Dunkelbraune Rattenfänger haben leichtes Spiel mit ihnen. Wenn ich Angst habe, dann vor dem Ende unserer Demokratie durch die Machtübernahme von rechten Populisten. Wie das aussieht, kann man sehen in der Türkei, in Polen, in Ungarn und sehr wahrscheinlich auch bald in USA.
Aber diese Angst "isst meine Seele nicht auf", im Gegenteil, sie macht mich kämpferisch gegen all den braunen Schmutz - auch wenn mir hier schon gesagt wurde, dass es verwunderlich sei, dass ich mich noch aus dem Haus traue.
  • 30.11.2016, 22:23 Uhr
  • 2
Trau Dich, Heidi, und hilf damit anderen, sich auch zu trauen !
  • 01.12.2016, 17:50 Uhr
  • 1
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Denen die Angst haben, hat man sie schon oft in die Wiege gelegt, aber sie lässt sich abschütteln, so man es will.
Die Ersten Flüchtlingen traf ich in einer Sporthalle.
Selten habe ich es so bedauert, dass ich nicht ihre Sprachen verstand.
Da war die alte Frau aus Afghanistan...
Das schöne Mädchen, das die Hand aufs Herz legte...
Der Mann der in einer Ecke saß und zeichnete...
Wie viele Geschichten hätte gerne hören wollen...
Mit Augen und Händen haben wir das Nötigste ausgetauscht... bleibt die Zuversicht, dass sie unsere Sprache lernen und ihre persönliche Geschichten mich doch finden.
  • 30.11.2016, 20:50 Uhr
  • 1
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Genau so! Vor dem ersten Zusammentreffen hatte ich auch ein mulmiges Gefühl und wäre vor der Tür beinahe umgedreht....
Ich hab es nicht getan und es hat sich gelohnt!
  • 30.11.2016, 19:58 Uhr
  • 2
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So richtig aus dem täglichen Leben Friedhelm! Super
  • 30.11.2016, 17:36 Uhr
  • 1
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Danke für den Beitrag
  • 30.11.2016, 16:00 Uhr
  • 2
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Sehr gut und plastisch dargestellt..danke dir, Friedhelm...♥
  • 30.11.2016, 14:14 Uhr
  • 2
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