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Portugiesische Perlen

Portugiesische Perlen

Heiner Sieger
07.03.2016, 22:50 Uhr
Beitrag von Heiner Sieger

Sie liegen hoch auf den Bergen, schon aus der Ferne grüßen die stolzen Türme ihrer mittelalterlichen Burgen. Wie an einer Kette aufgereiht, liegen sie da, in einer versetzten Dreierreihe, in der Nähe zur spanischen Grenze – zwölf kleine, trutzige portugiesische Dörfer. In längst vergangenen Zeiten ließen sie Landherren und Könige besser schlafen: Almeida, Belmonte, Castelo Mendo, Castelo Novo, Castelo Rodrigo, Idanha-a-Velha, Linhares da Beira, Marialva, Monsanto, Piódão, Sortelha und Trancoso.

Wunderbare Ruhe in ländlicher Idylle

Einst wurden sie allesamt gebaut, um Portugals Grenzen vor einfallenden Feinden zu sichern. In den Steinen ihrer Straßen und Häuser bewahren die zwölf Perlen aus der Vergangenheit noch heute das, was an Portugal ureigen ist: Die Authentizität seines Volkes und der Stolz auf eine neunhundertjährige Geschichte. Wer einmal eine Nacht in einem dieser Dörfer verbracht hat, wird die wunderbare Ruhe und die ländliche Idylle so schnell nicht vergessen.

Beim Schlendern durch die Gassen der historischen Stadtviertel lassen sich zahlreiche religiöse Monumente, volkstümliche Paläste und Herrenhäuser, Schlösser, Mauern und Gräben, Schandpfähle, Gefängnisse und Ratshäuser besichtigen. Immer wieder laden kleine Läden, Cafés und Gasthäuser zum Verweilen und Probieren einheimischer Köstlichkeiten wie Käse, Wein, Lamm- und Kalbswürste, Grillspezialitäten, Mandeln, Nüsse und typische Olivenölsorten aus Portugals Landesinnerem.

Naturliebhaber sind mit allen Sinnen gefordert

Die Dörfer liegen in der Nähe der ältesten Grenze in Europa, inmitten einer sehr ursprünglichen Region, in der Urlauber abseits der Hauptsaison eine eher seltene Spezies sind, wie die vielen Tier- und Pflanzenarten, die sich hier ebenfalls finden lassen. Naturliebhaber sind in den zahlreichen Schutzgebieten und Reservaten des Centro de Portugal ständig mit allen Sinnen gefordert. Denn zwischen der Erkundung der Dörfer lässt sich auch jede einzelne dieser geschützten Zonen, wie Serra da Marofa, Parque Nacional da Serra da Estrela, Gardunha und Reserva Natural da Malcata, wunderbar wandernd oder per Rad nutzen zur Beobachtung einer ursprünglichen Pflanzenwelt - aber auch von Geiern, Adlern und wilden Pferden. Sogar ein außergewöhnlicher Ausflug zu den Anfängen der Menschheit gehört dazu.

Gasthäuser und Betten finden sich in allen dieser historischen Dörfer. Einen besonders intensiven Eindruck gewinnt allerdings, wer sein Lager für ein paar Tage im Casa da Cisterna mitten im atemberaubenden Dorf Castelo Rodrigo aufschlägt. Nicht nur wegen der imposanten Kirche Igreja Nossa Senhora de Rocamador, dem alten Kloster von Sta. Maria de Aguiar, dem Uhrturm, dem Schandpfahl und den authentischen kleinen Dorfläden.

Sondern hier hat sich das Biologen-Ehepaar Ana und Antonio aus Lissabon vor ein paar Jahren einen Traum erfüllt und in den Jahrhunderte alten Gemäuern ein Juwel geschaffen: Ihr kleines Hotel mit den hübschen verwinkelten Zimmern liegt inmitten der alten Gemäuer in des Nähe des einstigen Dorfbrunnens, der Zisterne - und hat sogar einen erfrischenden Pool. Denn ab Mai wird es hier schon richtig heiß. Der Ort war einst bedeutender strategischer Verteidigungsposten im Restaurationskrieg um die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Portugals ab 1640, schließlich wurde die Burg im Siebenjährigen Krieg verwüstet. Ihre Ruine verleiht dem Ort nun sein antikes Lächeln.

Aus vollen Züge den Zauber der Geschichte genießen

Aber sonst ist hier vieles liebevoll wieder hergerichtet, wie das kleine Hotel über dem früheren Dorfbrunnen. Auf der Terrasse sitzend schweift der Blick über die roten Ziegeldächer, über historische Gemäuer weit hinein ins Land und man atmet aus vollen Zügen den Zauber der Geschichte, in der Hand ein gutes Buch. Am Abend serviert Gastgeberin Ana im Licht der untergehenden Sonne ein feines Menü mit einheimischen Spezialitäten. „Danach machen wir noch einen kleinen Ausflug, zieht feste Schuhe an. Ich will Euch noch etwas ganz Besonderes zeigen“, tut sie geheimnisvoll. Also klettern wir später gespannt in ihren Landrover, nicht ahnend, dass wir an einer unvergesslichen Expedition teilnehmen.

Wir fahren in das Vale do Côa. Eine Viertelstunde geht es über die Landstraße und eine weitere Viertelstunde bergab über rucklige Feldwege, die nur der kräftige Allrad bewältigt. Auf einer Landzunge an dem gewundenen Flusslauf des Côa stellt Ana das Auto ab. Im fahlen Mondlicht laufen wir ein paar hundert Meter am Fluss entlang. „Hier in dieser fruchtbaren Landschaft haben früher Menschen gesiedelt, die während der Eiszeit vor der Kälte Nordeuropas geflohen sind“, erzählt die Hobby-Historikerin.


Wir bewundern eine fast verloren gegangene Perle der Menschheit

Und dann erreichen wir auch schon den Ort, an dem sich wie kaum irgendwo anders auf der Welt die Entwicklungsgeschichte der Kunst und der Menschheit nachvollziehen lässt. Was Ana uns hier zeigt, ist wahrlich ergreifend. Wir befinden uns im Herzen des im Jahr 1996 gegründeten Parque Arqueológico. Er beherbergt ein einzigartiges UNESCO Weltkulturerbe: mehrere tausend Petroglyphen, deren Alter auf teilweise über 25.000 Jahre geschätzt wird.

Bei Bauarbeiten für einen Staudamm Anfang der 90er Jahre wurden diese in den Schiefergestein geritzten bildlichen und grafischen Darstellungen an den Uferhängen des Côa entdeckt. Sie zeigen in ungelenker aber doch deutlicher Weise Auerochsen, Pferde, Hirsche, Steinböcke, Ziegen und Fische, verstreut auf einer Länge von mehr als 17 Kilometern. Es ist eine einzigartige Galerie unter freiem Himmel, mit sensationellen Darstellungen aus dem Paläolithikum, wie man sie bislang nur in geschützten Grotten und Höhlen vorgefunden hatte. Kaum auszudenken, dass diese Perle der Menschheit um ein Haar verloren gegangen wäre.

„Am Abend, im Schein der Taschenlampe lassen sich die zauberhaften Zeichnungen am besten erkennen. Und man hat sie ganz für sich“, lächelt Ana. Denn viele Besucher nutzen die Möglichkeit, tagsüber eine Führung durch den Park und die vier wichtigsten Kernbereiche zu unternehmen, nämlich durch die Penascosa, die Canada do Inferno, die Ribeira de Piscos und durch Fariseu. Abfahrtsorte sind der gut ausgeschilderte Parkeingang in Vila Nova de Foz Côa und die beiden Aufnahmestationen in Castelo Melhor und Muxagata.

Über uns kreisen die Geier

Am nächsten Tag machen wir uns auf zu einer Wanderung zur Faia Brava, einem weiteren Naturpark im Vale do Côa. Die private Umweltorganisation Associação Transumância e Natureza (ATN) hat hier 800 Hektar ehemaliges Farmland gekauft, um bedrohte Tier- und Pflanzenarten zu schützen. In der wilden, mit skulpturartigen Steinformationen durchzogenen Landschaft ist man der Natur ganz nahe.

Vor allem im Frühjahr summt und brummt es, und ein betörender Duft mediterraner Pflanzen verwöhnt die Nase. Wir haben Glück und bekommen unweit eines Wassertümpels eine Herde wilder Garrano-Pferde zu Gesicht, die hier friedlich umher galoppieren. Der Park ist auch Teil eines Projektes der niederländischen Stiftung Taurus und verschiedener europäischer Universitäten. Deren Ziel ist die Züchtung eines Rindes, das dem ausgerotteten Auerochsen, der Stammform der meisten Hausrinder, so nahe wie möglich kommen soll. Von den rund 20 Maronesa- und Sayaguesa-Rindern dieses Projektes bekommen wir leider keines zu Gesicht. Dafür warten andere Abenteuer.

Denn nicht weit entfernt liegt das Tal des spanisch-portugiesischen Grenzflusses Douro, der später bei Porto in den Atlantik mündet. Es bildet in der Region den Parque Natural do Douro Internacional, der in Portugal neben Sagres zu den besten Orten für Vogelbeobachtungen schlechthin zählt. Im Naturpark nisten rund 60 Vogelarten, insbesondere die großen Felsenbrüter. Zu diesen gehört der Schmutzgeier, der auch das Wahrzeichen des Parks darstellt. Während eines Picknicks kreisen tatsächlich teilweise sechs Geier, die eine Spannweite von bis zu 2,70 Metern erreichen, über uns.

Ein imposantes Erlebnis, aber auch ein etwas mulmiges Gefühl. Mit dem Fernglas beobachten wir aus sicherer Entfernung, wie die Raubvögel immer wieder zu ihren Nestern schweben, deren weiße Kot-Schlieren sich scharf von den schwarzen Felsen über dem Fluss abzeichnen. Auch einige andere vom Aussterben bedrohte Arten wie der Schwarzstorch, Steinadler, der ägyptische Geier, der Wanderfalke, der Alpensegler und der Uhu sind hier zuhause.

In der Hochzeitskirche der Isabel von Aragon

Zurück in der Zivilisation, geht es mit dem Auto zwischen Wiesen und Feldern weiter in Richtung Marialva. Auffallend sind hier die zahlreichen gemauerten, aber verlassenen Taubenschläge mit ihren roten Ziegeldächern. Sie stehen zu Hunderten in der Landschaft und stammen noch aus der Zeit, als der Kunstdünger nicht erfunden war. Damals setzten die portugiesischen Bauern den Kot der über die Felder fliegenden Tauben als Naturdünger ein.

Wir nähern uns Trancoso, dessen historisches Zentrum von mittelalterlichen Mauern mit fünfzehn Türmen umgeben ist. Sie umfassen unter anderem ein Judenviertel, weshalb die Stadt auch zur Route landesweiter historischer jüdischer Orte zählt, der „Rede de Judiarias“. Wegen seiner Lage auf einem Hochplateau in 870 Metern Höhe war der Ort eine wichtige Festung, die der Verteidigung der Grenze zu Spanien diente und im Mittelalter ein bedeutender Truppenstandort. Das imposante Stadttor Porta d'El Rei (Tor des Königs) ist der Hauptzugang in den Ort und trägt seinen Namen zu Ehren von König Dinis, der hier in der Kapelle São Bartolomeu im Jahre 1282 Isabel von Aragon, die spätere heilige Königin, heiratete.

Hier steckte einst Napoleon eine historische Niederlage ein

Auch der Ort Marialva war dank seiner fantastischen Lage hoch auf einem schwer zugänglichen Felsen auf der linken Seite des Alva Flusses im Mittelalter ein wichtiger militärischer Stützpunkt. Ein Labyrinth mittelalterlicher Gassen, flankiert von gotischen Wänden und Türen, führen den Besucher zu einem kleinen Platz, wo sich neben einem gut erhaltenen Pranger aus Granit aus dem 15. Jahrhundert, der alte Kerker und das Gericht befinden. Die Mutterkirche mit ihrem manuelinischen Eingangstor ist dem Heiligen Santiago gewidmet und stammt aus dem 16. Jahrhundert. Der ehemalige Zufluchtsort auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela feiert noch heute den Festtag des Apostels (25. Juli) mit dem Santiago-Markt.

Weiter geht es und schon bald grüßt die nächste gut erhaltene Burg von einer Anhöhe herab: Sabugal. Der Ort mit dem majestätischen Granitbau aus dem 11. Jahrhundert gehört zwar nicht zu dem Dutzend historischer Dörfer. Aber er lohnt als Mitglied der „Rede di Judiaris“ ebenfalls einen Abstecher. Der bedeutende Komplex gotischer Militärarchitektur beherbergt einen urbanen Kern in unregelmäßiger ovaler Form sowie eine Zitadelle mit doppelter Ringmauer und einen Innenring mit fünf quadratische Türmen. Für Portugal und Europa markiert die Sabugal-Burg auch einen wichtigen historischen Wendepunkt: Dort besiegten am 3. April 1811 britische und portugiesische Truppen die napoleonische Invasionsarmee und vertrieben mit diesem Sieg die Franzosen endgültig aus Portugal.

In Sortelha bissen die Feinde auf Granit

Nur wenige Kilometer entfernt liegt dann das einzigartige Sortelha. Überragt von einer Burg, die in 760 m Höhe fest auf den Felsen ruht, war das Dorf ebenfalls Teil der wichtigen Verteidigungslinie, deren Grenzburgen seinerzeit entweder völlig neu errichtet oder auf den bestehenden Fundamenten alter iberischer Siedlungen aufgebaut worden waren. Sein Name stammt von der außergewöhnlichen Beschaffenheit des Geländes mit den abschüssigen Felsen, die das Dorf in Ringform einrahmen (auf Spanisch "sortija") und die man dazu nutzte, auch die Verteidigungsmauern in Ringform zu bauen. Das Dorf betritt man durch ein gotisches Portal, das mit einem Balkon verziert ist.

Aus den Öffnungen, so genannte Gusslochreihen, dieses Pilatosbalkons wurden früher alle erdenklichen Gegenstände auf die Angreifer geworfen. Der besondere Zauber des Dorfes liegt in seiner bestens erhaltenen mittelalterlichen Atmosphäre und den einstöckigen Granit-Häusern, die direkt auf den Felsen sitzen und die Topografie des Geländes begleiten. Die Großartigkeit der Architektur lässt sich am Besten bei einem Gang vom Burgfried aus über die Burgmauer rund um fast das gesamte Dorf bewundern.

Almeida: Perle in Sternform

Wer nicht alle zwölf Dörfer besichtigen mag, sollte dennoch keinesfalls Almeida auslassen, mit seinen steinernen, von einem breiten Graben umgebenen Festungsmauern in Form eines zwölfzackigen Sterns. Diese bemerkenswerte Bastion wurde im 17. und 18. Jh. um eine mittelalterliche Burg herum errichtet, und zwar an einer Stelle, die für die Verteidigung der Region strategisch äußerst bedeutsam war - auf einer Hochebene, rund zwölf Kilometer von der spanischen Grenze entfernt.

Almeida ist heute eine der besterhaltenen Befestigungsanlagen in Portugal. Von den strategisch geschickt platzierten Basteien ließ sich die gesamte Umgebung überblicken. Und die in ein Tunnelgewölbe mündenden Tore waren falsche Tore, die die Eindringlinge täuschen sollten. Die unterirdischen Kasematten waren mit allem ausgestattet, was im Kriegsfall zum Überleben benötigt wurde. Dort konnte die gesamte Bevölkerung Schutz finden.

Eingebettet innerhalb der Festungsmauern liegt harmonisch die Ortschaft. Bei einem Espresso und dem einem oder anderen Ginjinha, dem typischen portugiesischen Kirschlikör, lässt sich auf der Gasse vor dem Casa da Amelinha wunderbar das Nichtstun genießen oder der Besuch des nächsten Dorfes vorbereiten.

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