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Der Dickschädel und die Villnösser Brillenschafe

Der Dickschädel und die Villnösser Brillenschafe

Heiner Sieger
19.03.2017, 09:30 Uhr
Beitrag von Heiner Sieger
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Die alte Dorfkneipe „Zum Franz“ in St.Peter im Südtiroler Villnösstal gibt sich seit einiger Zeit ungewohnt modern, mit klaren Linien und frischen Farben. Seit eh und je wird sie vormittags und abends von den Villnössern besucht, die hier ihr Glaserl Wein oder einen Macchiato trinken und einen Ratsch zu halten.

Doch abends hat das historische Gasthaus ein ganz anderes Publikum: Feinschmecker aus Nah und Fern geben sich ein Stelldichein. Denn unter dem neuen Namen „Pitzock“ hat der Villnösser Oskar Messner aus der ursprünglichen Beize im Ortsteil Pizack ein kleines, aber feines Schmuckkästchen für Freunde außergewöhnlicher Lammgerichte und hervorragender Speisen aus heimischen Produkten – vorwiegend aus dem Villnösser Tal – gemacht. Wer auf feinste Lammspezialitäten steht, der pilgert ins Pitzock. Was inzwischen immer mehr Liebhaber tun: An den Wochenenden findet man ohne Reservierung in der Regel höchstens einen Platz an der Bar.

Das hat gleich mehrere Gründe: Zum einen die Begeisterung Oskar Messners für das Fleisch der einheimischen Schafrasse – dem Villnösser Brillenschaf. Zum anderen ist der ambitionierte Südtiroler nicht nur ein hervorragender Koch, sondern auch ein würdiger Vertreter der „Slow Food“ und „Presidio“-Philosophie. Damit trägt er wesentlich zum Erhalt der Kultur seiner Südtiroler Heimat bei.

Und ist ganz nebenbei auch einer der Retter des Villnösser Brillenschafs. Die gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts fast vom Aussterben bedrohte Rasse gehört – Oskar sei Dank – seit einigen Jahren auch zum erlauchten Kreis dieser Presidios. Und es steht in immer mehr Südtiroler Restaurants auf der Speisekarte. Die Geschichte eines Dickschädels, der das Villnösser Brillenschaf - und wahrscheinlich auch so manche Bauern - rettete. Als Koch und als Unternehmer.
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Ein Presidio ist eine eigenständige, von Slow Food unabhängige Organisation zum Wohle des jeweiligen Archepassagiers. Die Anerkennung als Slow Food Presidio erfolgt durch die gemeinnützige „Slow Food Foundation for Biodiversity“ mit Sitz in Florenz. Mit der Aufnahme in die Arche des Geschmacks wird der Archepassagier, eine Pflanze oder ein Tier, vor dem Vergessen bewahrt. Archepassagiere sind Teil des kulturellen und identitätsbildenden Erbes einer bestimmten, umgrenzten Region, die sogar nur eine Ortschaft sein kann. Sie gehören zu dieser Region und ihren Menschen, zu ihrer Kultur, ihrer Landschaft und ihrer Geschichte. Durch sie wird die jeweilige Region einzigartig. Diese Einzigartigkeit - und damit zugleich die Vielfalt der Verschiedenheiten - zu erhalten und wieder ins Bewusstsein zu rücken ist die Vision eines Presidios. Oskar Messner ist es zu verdanken, dass auch das fast vergessene Villnösser Brillenschaf als historisch gewachsenes Lebensmittel heute ein Archepassagier und Presidio-Produkt ist.
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Als gelernter Koch legt Oskar Messner einen seiner Schwerpunkte auf die Zubereitung hausgemachter Vorspeisen. Traditionelle Gerichte – raffiniert zubereitet – sowie Eigenkreationen runden das Angebot ab. Kann sich ein Gast zwischen den verschiedenen Vorspeisen schwer entscheiden, serviert er diese auch als kleine Portionen, auf südtirolerisch so genannten “Kosterlen“.

Die meisten Zutaten kauft der Koch bei benachbarten Höfen im Villnößtal. So kommen saisonale Gemüse aller Art vom Mesnerhof in Nafen, die frischen Eier aus Freilandhaltung stammen vom Mitterflitzhof in St. Valentin und frische Beeren, Früchte, Marmeladen der Saison liefert der Petrunderhof in St. Valentin.

Regionale Köstlichkeiten auf höchstem Niveau

Der Star der Küche ist natürlich das Villnösser Brillenschaf, das zum Beispiel als Vorspeise in Form von Lammschinken, zusammen mit hausgemachtem Speck und Apfelkren auf den Teller kommt. Als Zwischengang serviert Oskar einen Capuccino von der Brennessel mit Kartoffelschaum und kleinem Tirtl. Danach folgen die Schüttelbrotteigtaschen – Ravioli – mit Lammzüngerl vom Villnösser Brillenschaf gefüllt. Der Hauptgang ist dann eine Lammstelze vom Villnösser Brillenschaf auf Kräuterrisotto Vialone Nano.

Das Villnösser Brillenschaf mit den typschen schwarzen Ringen um die Augen ist eine Kreuzung zwischen Bergamasker Schaf, dem Paduaner Seidenschaf und dem alten Brillenschaf. „Die schwarzen Ringe schützen vor den Mücken“, erzählt Messner. Es kommt nur noch in wenigen Südtiroler Tälern vor.

Ursprünglich wurde das Brillenschaf für die Wolle gezüchtet, es ist eigentlich keine Fleisch- und Milchrasse, hat allerdings die beste Wollqualität der alpinen Schafe. „Da ich jedoch von Wolle wenig und von Fleisch viel versteh’, habe ich mich dem Fleisch gewidmet“, lacht der ambitionierte Koch. „Und ich kann mich mit den Produkten besser identifizieren, wenn sie aus der Region kommen.“ Für die Küche verarbeitet er nur Lämmer im Alter von vier bis sechs Monaten. Das oft unangenehm schmeckende „Bockeln“ beginnt erst mit der Geschlechtsreife ab einem Jahr Alter.

Mit Tradition und Innovation

Doch das Kochen alleine reichte dem Gastronom nicht. Denn verbunden mit seiner Heimat wie er ist, treibt ihn nach wie vor ein großes Anliegen: und wieder mehr Alternativen zu bieten, damit sie überleben können. Also hat er sich irgendwann mit einigen Freunden zusammengesetzt und diskutiert. Ergebnis zahlreicher, oft bis in die Nacht dauernder Gespräche war die Gründung der Firma Furchetta. Der Name ist sowohl der ladinische Begriff für Gabel, steht aber auch für die drei über 3000 Meter hohen Gipfel der Geisler Spitzen, die ebenfalls wie eine Gabel anmuten. Das Unternehmen vermarktet heute Produkte vom einheimischen Villnösser Brillenschaf.

„Dabei wollten wir Tradition mit Innovation verbinden und den Bauern von der ersten Stunde an die Abnahme und den Preis garantieren“, sagt Messner und man spürt förmlich, wie sehr er hier mit Herzblut bei der Sache ist: „Eine eigene Innovation beispielsweise ist der gekochte, leicht geräucherte Lamm-Schinken. Das hat es bei uns in Südtirol bis dahin nicht gegeben, auch nicht die Lamm-Kaminwurzen und Lamm-Salami ohne Zugabe von Schweinefleisch. Eine reine Lamm-Salami funktioniert nicht, da das Fleisch zu mager ist. Man braucht aber das Fett als Geschmacksträger.“ Lammfett verhält sich anders als Schweinefett im Reifeprozess, beim Lamm wird das fett gröber und ist nicht so mürbe wie beim Schwein. Gerade testet Messner, statt Schweinefleisch zu nehmen, eine Salami-Variante mit 40 Prozent Rindfleisch vom Grauen Geisler Rind, das einige Bauern noch auf den heimischen Almen halten.

Inzwischen stellen immer mehr Bauern um

Doch aller Anfang ist schwer. Diese anstrengende Erfahrung blieb auch dem Innovator nicht erspart: Der Aufwand zu Beginn war riesengroß, ein Absatzmarkt existierte nicht, Zuschüsse gab es nicht, die Finanzierung stemmte er selbst werden - und auch die Bauern mussten er erst noch persönlich von der Sache überzeugen. Acht lange Jahre verdiente Messner mit dem Projekt kein Geld. Aber er ließ sich nicht entmutigen.

Und siehe da: Schließlich machten die ersten drei Schafbauern mit. Der Businessplan sah vor, 1000 Tiere zu schlachten, damit es sich wirtschaftlich lohnt. Eigentlich ein unmögliches Unterfangen, da zu der Zeit lediglich 2000 Muttertiere in Südtirol eingetragen waren. „Aber da ist mein Villnösser Dickschädel durchgekommen“, haut Oskar Messner unvermittelt mit der Faust auf den Tisch. „Ich habe mit vielen Bauern persönlich gesprochen und Überzeugungsarbeit geleistet.“

Heute, knapp zehn Jahre später, unterstützen immerhin 50 Bauern Südtirol weit das Projekt. „Inzwischen muss ich nicht mehr nur um den Wurstpreis diskutieren, sondern das Villnösser Brillenschaf ist auch ein touristisches Projekt geworden, dass den Bekanntheitsgrad des Tales hebt, weil es dessen Namen trägt. Für mich das schönste Tal in ganz Südtirol.“

Und weil Schafe im Winter pflegeleichter als Milchkühe sind, stellen immer mehr Bauern um von Milchwirtschaft auf Schafzucht, die ihnen inzwischen auch wieder ein Einkommen bringt. Zumal Oskar Messner sich persönlich um den Absatz kümmert: „Ich kenne viele Köche und die Bedarfe der Restaurants. Ich rufe die Köche während der Schlachtzeit an, dann können die auch effektiver arbeiten.“

Eine neue Alm muss her

Die Gebirgslandwirtschaft hat sich extrem geändert, früher hatte jeder Bauer Schafe, Kühe, Hühner, Schweine, heute sind alle spezialisiert, etwa als Milchbauer, das bringt eben mehr Ertrag. Zudem sei es leider schwer, noch Hirten zu finden, sagt Oskar Messner. Die Raschötz-Hochalm, wo die Schafe im Sommer leben, ist ein sehr unwegsames Gelände, oben Felsen, unten Wald. Man kann aber nur mit Hunden hüten, wenn der Schäfer den Blickkontakt zum Hund hat. Zum Schlafen gehen die Schafe hinauf auf die Raschötz. Um vier Uhr kommen sie dann tiefer, bis zum Abend fressen sie sich langsam wieder hoch.

Wenn die Sonne kommt, suchen die Schafe den Schatten. Und sie müssen auch trinken, aber weit oben gibt es weder Wasser noch Schatten. „Die Schafe sind wie die Gemsen in den Felsen drin. Die leben da ganz zufrieden in den Bergen. Und das ist auch unser Anliegen, das zu zeigen. Sie essen nur saubere Gräser und Kräuter und haben deshalb ein zartes, feinfaseriges Fleisch, das würzig im Geschmack ist.“

Mit dem Erreichten mag Messner sich indes nicht begnügen. Gemeinsam mit einigen Bauern möchte er gerne eine Gemeinschaftsalm an der Kofelwiese schaffen, wo schon früher über 100 Schafe waren, denn mit der Raschötz wird es eng. Die Weide ist nicht so gut und die Wiesn darunter gehören anderen Bauern. „Ob uns das mit der neuen Alm gelingt, kommt darauf an, wie wir mit den Bauern klarkommen, die diese Rechte haben“, sieht er noch so manchen Felsbrocken, den er aus dem Weg räumen muss.

Häkeldamen gesucht!

Einige hat er schon in Herkules-Manier bewältigt: Parallel startete der Unermüdliche eine Kommunikationskampagne für die älteste Südtiroler Schafrasse in Südtirol, die inzwischen von der EU als aussterbende Haustierrasse anerkannt und finanziell unterstützt wird. Und er kümmert sich darum, dass auch die Wolle, wie früher üblich, wieder an Wert gewinnt.

Die Wolle wurde vor einigen Jahren noch weggeschmissen, die Bauern mussten nach Brixen fahren, um die zu entsorgen. Dank Messners Furchetta-Projekt bekommen sie jetzt sogar jetzt ein Euro pro Kilo schmutziger Wolle. Schließlich wurde das Villnösser Brillenschaf ja ursprünglich vor allem für seine hohe Qualität der Wolle geschätzt, aus der vor allem die regionaltypischen Loden gefertigt wurden.

„Ich hatte keine Ahnung von Wolle, aber habe mich da jetzt reingekniet. Da sind tolle Projekt draus entstanden.“ So erlebt auch die alte Wollfabrik in Villnöss seit kurzem Zeit eine kleine Renaisssance. Valentin Niederwolfsgruber, Inhaber der Manufaktur „Naturwoll“, die auch einen kleinen Laden mit eigenen Wollprodukten beherbergt, hat die alten Maschinen wieder flott gemacht. Und Oskar Messner hat dann noch im Kirchenblatt annonciert: „Suche Häkeldamen!“ 20 Frauen haben sich auf Anhieb gemeldet und an zwei Häkelnachmittagen in Messners Lokal Pitzock Häkelmützen mit der Wolle der heimische Schafe produziert. In Valentins Laden werden sie verkauft.

Respekt vor der Heimat, Respekt vor der Arbeit

Letztendlich, räumt Messner ein, konnte das Furchetta-Projekt nur überleben, weil es ihm immerhin gelang, einen entsprechenden Mehrwert durch sein Restaurant zu erwirtschaften, weil die Leute zu ihm kommen, um das Brillenschaf zu essen. „Wenn ich das nicht mache, wer soll es dann machen? Es geht sonst einfach zu viel verloren von dem was wir an regionaler Tradition im Tal haben. Stell’ Dir vor, wir kochen in Südtirol nur noch neuseeländisches Lamm!“, tut er einen tiefen Seufzer. In der Tat: Das wäre unendlich schade. „Wenn ich vor zehn Jahren geahnt hätte, was da auf mich zukommt an Schwierigkeiten, hätte ich es mit größter Wahrscheinlichkeit nicht gemacht.“

Heute ist der heimatverbundene Koch, Gastwirt und Unternehmer aber grundfroh, das er das Abenteuer gewagt und dem Villnösser Brillenschaf wieder auf die Sprünge helfen konnte: „Ich habe gelernt, dass ich nicht auf der Welt bin, um es allen Recht zu machen. Am Ende geht es doch um Respekt: Den Respekt vor der Natur, vor der Heimat und vor den vielen Gästen, die zu mir kommen. Ich gebe ihnen meinen Respekt zurück, weil sie den Weg auf sich nehmen, nur um bei mir zu essen und meine Arbeit zu respektieren.“ Und die ist wirklich aller Ehren Wert – auch wenn man, wie der Autor, überhaupt kein Lammfleisch mag.

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