FATA MORGANA
Seit Tagen ritten wir in glühender Hitze durstgeplagt auf unseren Kamelen durch die Wüste.
Wir sind, oder besser gesagt, wir waren, eine Gruppe die zu einem archäologischen Team gehört.
Genau genommen sind wir Grabräuber. Erfolgreiche Grabräuber! Ursprünglich waren wir zu sechst...
Ein paar Meilen von einer berühmten Ausgrabungsstätte entfernt hatten wir nach eineinhalbjähriger illegaler Suche ein unberührtes Königsgrab entdeckt.
Ein immenser Schatz, der uns reich machen würde. Wir hatten Verbindungen zu gut zahlenden Hehlern. Kein Museum der Welt wird je etwas von den Funden erfahren.
Doch bereits bei den Ausgrabungen schlug das Schicksal brutal zu. Ein bösartiger Bazillus erwischte Joe und ließ ihn nicht mehr vom Lokus. Wir fütterten Joe mit Kohletabletten und literweise Pfefferminztee. Einen Arzt wollten wir nicht hinzu ziehen. Wir brauchten keinen Mitwisser.
Unsere Bemühungen um Joe waren vergeblich. Nach fünf Tagen begruben wir ihn im ausgeraubten Königsgrab. Eine angemessene Grabstelle für unseren Kumpel Joe!
Schlagartig waren wir noch reicher geworden, da die Beute nun nur noch durch fünf anstatt durch sechs geteilt werden musste. Auch nicht schlecht!
Zwei Tage später erwischte es George. Er war gerade dabei, sich hinter einem Felsbrocken zu erleichtern, als das Schicksal in Gestalt einer Hornviper zuschlug. Natürlich schlug ihn die Viper nicht, sie biss ihn in sein nacktes Hinterteil. Wenn das keine hinterhältige Gemeinheit ist!
Gegengift hatten wir nicht dabei. Es hätte auch nicht geholfen. Der Biss einer Hornviper ist giftig. Tödlich giftig. George begruben wir unter Steinen. Sehr vielen Steinen! Das war eine Schinderei bei der Affenhitze! Doch es musste sein. Geier hätten sonst Verfolger auf unsere Spur bringen können.
Nur noch zu viert machten wir uns erneut auf den Weg. Unser Anteil an der gemeinsamen Beute war wieder größer geworden. So was ist kein Nachteil.
Die flirrende Hitze machte uns schwer zu schaffen. Das brackige Wasser in den Ziegenhautschläuchen neigte sich bereits bedenklich dem Ende zu. Ob es noch bis zu unserem Ziel, der Küste, reichen würde? Unsere Gedanken kreisten nur noch um eines: Wasser.
Todesangst und Durst waren unsere ständigen Begleiter, auch wenn es keiner aussprach.
Tagsüber stieg die Temperatur auf 50 Grad, nachts sank sie auf 0 Grad.
Um nicht zu frieren, legten wir uns dicht an die stinkenden Kamele. Stoisch wiederkäuend lagen die Wüstenschiffe rülpsend im Sand. Die wechselnden Temperaturen machten ihnen nichts aus.
Feuer konnten wir nicht machen, es hätte uns verraten. Die Todesangst saß uns im Nacken.
Morgens ging es früh weiter, bevor die große Hitze unerträglich wurde. Gegen Mittag suchten wir einen schattigen Platz nahe der Felsen, die überall zerstreut in der Landschaft lagen.
Der Proviant war knapp geworden. Keiner sprach, wenn es nicht unbedingt nötig war.
Meine Zunge war ein immer dicker werdender Fremdkörper in meinem trockenen Mund.
Sie fühlte sich an wie ein Knebel. Ich konnte kaum noch schlucken. Alle Knochen schmerzten, die Augen brannten und die Gedanken wurden wirr. Gnadenlos stach der Planet vom Himmel und verbrannte unsere Haut, die sich in Fetzen vom Körper löste. Doch das schlimmste war der Durst.
Hat sich das alles gelohnt? Jeder von uns versuchte, die aufkommende Panik vor den anderen zu verbergen. Nur noch zu viert ritten wir durch die sandige Gluthölle. Die Luft flirrt vor Hitze.
Vier reiche, durstige Kerle auf dem Weg quer durch die Wüste zum Meer...
Der Wind türmte Sandberge auf und veränderte sie ständig. So verwischte er unsere Spuren und wurde zu unserem Verbündeten.
Plötzlich entdeckten wir zufällig einen der gut verborgenen Beduinenbrunnen. So ein Glücksfall!
Nur mit geübtem Auge kann man die finden. Bill preschte Durst geplagt vor und pumpte sich sogleich voll mit dem kühlen Nass.
Das hätte er nicht tun sollen. Der Brunnen war vergiftet. Bill verdrehte bereits die Augen, als wir anderen kurz nach ihm am Brunnen ankamen. Das Gift wirkte sehr schnell. Wir verzichteten darauf, unsere Wasservorräte an diesem Brunnen zu ergänzen. Das war besser so.
Mit Schaum vor dem Mund und zuckenden Bewegungen schied Bill von uns.
Auch ihn bedeckten wir mit vielen, vielen Felsbrocken. Erneut so eine Quälerei bei dieser Gluthitze! Schrecklich. Ohne unsere Ziegenhautschläuche aufgefüllt zu haben, ritten wir, jeder in seine trüben Gedanken versunken, weiter. Der Gedanke daran, dass die Beute nun uns dreien alleine gehörte, munterte uns etwas auf.
Da wir nur noch zu dritt waren, hofften wir, dass das Wasser bis zu unserem Ziel reichen würde. Frisches Wasser wäre uns allerdings lieber gewesen als diese abgestandene, brackige Brühe.
Die Kamele mussten auch bald getränkt werden. Ihre Höcker waren schon ziemlich schlaff.
Gerade durchquerten wir ein Wadi, als wir völlig unerwartet direkt vor uns, gar nicht allzu weit entfernt, Palmen erblickten. Palmen! Das konnte nur eines bedeuten: Eine Oase! Wasser!
Bob und Sam trieben ihre Kamele wie verrückt an und bevor ich es kapiert hatte, waren sie auch schon in einer dichten Sandwolke verschwunden. Mein Kamel, dieses Mistvieh, ließ sich nicht antreiben. Stur trabte es in immer gleicher Geschwindigkeit mit verächtlichem Blick langsam voran.
Nichts half. Kein Fluchen, kein Treten, nichts. So ritt ich alleine in Richtung Oase, meinen Freunden hinterher. Plötzlich sah ich sie nicht mehr. Sie waren weg. Einfach weg! Die Oase auch. Und die Lastkamele mit den Schätzen! Die Schätze!
So ein Mist. Nun musste ich alleine weiter. Die grobe Richtung wusste ich in etwa. "Nur keine Panik" redete ich mir selber gut zu.
Wir werden uns dann am Hafen von Mar Suk alle wieder treffen und gemeinsam Richtung Heimat einschiffen. Hoffte ich.
Nach weiteren drei Tagen ist mir heute das Wasser endgültig ausgegangen. Neue Wegbegleiter habe ich auch gefunden. Seit gestern kreisen sie über mir. Kommen immer näher.
Hubschrauber sind das nicht, das ist sogar mir klar...
Copyright Inga Scheer-Ruhland
Ich freue mich über viele Kommentare und Kritik! Danke!
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