Fast 100 Jahre lang gab es ein Datum, auf das viele Deutsche jahrelang hinfieberten: ihren 65. Geburtstag. Denn dann konnten sie in Rente gehen. Das Renteneintrittsalter hatte der Reichstag im Januar 1916 von den bis dahin geltenden 70 Jahren auf 65 Jahre gesenkt. Die Rente mit 65 stammt also noch aus Kaisers Zeiten.
Jetzt könnte eine Rolle rückwärts drohen. Dann nämlich, wenn die Politik die aktuellen Empfehlungen der Bundesbank tatsächlich beherzigen sollte.
Die Bundesbank schlägt vor, das Alter für die reguläre Rente auf 69 Jahre und vier Monate zu erhöhen. Schrittweise bis zum Jahr 2070.
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Auf diese Weise soll verhindert werden, dass angesichts der demographischen Entwicklung - mehr Alte, weniger Junge - das Rentenniveau künftig zu tief sinkt und schließlich das auf Umlage basierende Rentensystem kollabiert, wie es Experten befürchten.
Wenn die Baby-Boomer in Rente gehen
Zwar sei die finanzielle Lage der Deutschen Rentenversicherung in den vergangenen Jahren relativ entspannt gewesen, so die Ökonomen der Bundesbank.
Doch das werde sich schon bald ändern.
"Es wird erwartet, dass die Lebenserwartung weiter steigt, und es treten die großen Baby-Boom-Kohorten ab Mitte der 2020er Jahre in den Ruhestand", heißt es im Monatsbericht Oktober 2019 der Bundesbank.
Dieser Stichtag - der 70. Geburtstag - kursiert schon seit einiger Zeit in der Debatte um eine mögliche Reform des Rentensystems.
Droht Rente mit 70?
So hatte Kanzlerin Angela Merkel 2017, während des letzten Bundestagswahlkampfs, der „Rente mit 70“ eine klare Absage erteilt.
Der Meinung der damaligen CDU-Chefin widersetzte sich prompt ihr Parteifreund - und damaliger Finanzminister - Wolfgang Schäuble.
Es entspricht einer gewissen Denknotwendigkeit, dass bei weiterhin steigendem Lebensalter die Altersgrenze in der Rentenversicherung nicht für alle Zeiten festgemauert stehen bleiben kann
sagte er damals.
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Das aktuelle Renteneintrittsalter
Dass der 65. Geburtstag gleich doppelten Anlass zum Feiern bietet, gilt seit 2012 nicht mehr. Seitdem wird die Regelaltersrente ohne Abschläge von 65 auf 67 Jahre schrittweise bis zum Jahr 2029 angehoben.
Die ersten, die sich erst mit 67 Jahren in die reguläre Rente verabschieden können, sind diejenigen, die 1964 geboren wurden. Ab dem Jahrgang 1958 gilt die Rente mit 66.
In diesem Jahr können Arbeitnehmer des Jahrgangs 1954 acht Monate nach ihrem 65. Geburtstag regulär in Rente gehen.
Soweit das Gesetz.
Mit 62 in Rente
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Im Durchschnitt erhalten Männer und Frauen aktuell mit 61,9 Jahren erstmals eine Rente, wie aus Zahlen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hervorgeht.
Und nur rund ein Drittel (29 Prozent der Männer, 37 Prozent der Frauen) der Deutschen erhält eine Regelaltersrente, hat also bis zum 65. Lebensjahr - plus die derzeit obligatorischen 4 Monate - gearbeitet.
Vor fast 40 Jahren galt dies noch für jeden zweiten Arbeitnehmer: 1970 bezog die eine Hälfte (49 Prozent) der Rentner eine Regelaltersrente, die andere (48 Prozent) eine Rente wegen verminderter Erwerbstätigkeit.
Mehr Männer beziehen Altersrente für langjährig Versicherte
Inzwischen - die aktuellsten Zahlen beziehen sich auf 2015 - erhalten weitaus mehr Männer (44 Prozent) eine Altersrente für langjährige Versicherte als eine Regelaltersrente. Damit verabschieden sie sich früher in den Ruhestand. Bei den Frauen ist dies bei rund ein Drittel (34 Prozent der Fall)
Dass 1970 niemand die inzwischen so populäre Altersrente für langjährig Versicherte bezog, hat einen ganz banalen Grund: Es gab diese Form der Altersrente damals noch nicht.
Sie wurde 1972 eingeführt, zusammen mit der Altersrente für Schwerbehinderte.
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Was erhebliche Auswirkungen hatte: Acht Jahre später, 1980, ging der Anteil der Rentner mit Regelaltersrente drastisch zurück (auf 14 Prozent bei den Männern und 15 Prozent bei den Frauen). Immer weniger verabschiedeten sich erst mit 65 vom Job.
Fast jeder achte Mann (12 Prozent) nutzte 1980 die neue Möglichkeit, als langjährig Versicherter früher - mit 60 oder 63 - in Rente zu gehen.
"Altersrente für besonders langjährig Versicherte"
Dagegen kaum eine Frau - wofür es eine einfache Erklärung gibt: Um diese Rente zu beziehen, hätten Frauen Jahrzehnte arbeiten und in die Rentenkasse einzahlen müssen. Was in der Vergangenheit selten der Fall war.
Auffällig ist: Während der Anteil der männlichen Arbeitnehmer, die lange genug in die Rentenversicherung eingezahlt hatten, um früher in Rente zu gehen, lange Zeit zwischen 12 und 20 Prozent lag, schnellte deren Zahl 2015 enorm in die Höhe (auf 44 Prozent).
Das lässt sich durch Veränderungen erklären, die 2012 auf den Weg gebracht worden sind: Einerseits gibt es seit dem Jahr die „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“, die Arbeitnehmern mit langer Lebensarbeitszeit eine abschlagsfreie Frühverrentung ermöglicht.
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Außerdem steigt seit 2012 schrittweise die Altersgrenze für die Regelaltersrente. Die Folge: Früher in Rente bedeutet seitdem: Früher als mit 65 plus x-Monaten.
Steigende Lebenserwartung
Ein Argument der Bundesbank für eine Rente mit (fast) 70 ist die steigende Lebenserwartung.
"Das Renteneintrittsalter hält in Deutschland nicht mit der Entwicklung der Lebenserwartung Schritt", heißt es in einer Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.
Demnach erhielten Männer 1970 mit im Schnitt 65,2 Jahren erstmals eine Altersrente - und konnten davon ausgehen, im Schnitt noch rund zwölf weitere Jahre zu leben. Die heutigen Rentner gehen, so das Bundesinstitut, rund ein Jahr früher in den Ruhestand und haben demnach noch eine Lebenserwartung von rund 19 Jahren.
"Die direkte Folge sind eine zunehmende Rentenbezugsdauer und damit steigende Kosten für die Alterssicherung", heißt es in der Analyse. Was das Argument der Bundesbank-Ökonomen bestätigt.
Wie sieht es bei kommenden Generationen aus?
Doch dann heißt es, genau diese Entwicklung sei ein Grund für die Rentenreform des Jahres 2012 gewesen.
Diese trage dazu bei, "dass die Kluft zwischen Renteneintrittsalter und Lebenserwartung sich zukünftig nicht weiter oder weniger stark als in der Vergangenheit vergrößert".
Doch wie sieht die Lebenserwartung kommender Generationen aus?
Wer etwa im kommenden Jahr in Deutschland geboren wird, erreicht im Schnitt als Junge ein Alter von 79 Jahren, die Mädchen haben eine Lebenserwartung von 84 Jahren. Die Generation der Großmütter und -väter der Kinder von morgen hat dagegen eine um rund 13 Jahre geringere Lebenserwartung.
Tendenz laut Statistischem Bundesamt: Steigend. Allerdings naturgemäß nicht ins Unendliche, außerdem ist der Anstieg gedrosselter als in den vergangenen Jahrzehnten.
So sagen die Statistiker für die Jahrgänge 2060 eine Lebenserwartung von fast 85 Jahren (bei Männern) und fast 89 Jahren bei Frauen voraus. Also im Schnitt 5 bis 6 Jahre mehr als vermutlich 40 Jahre zuvor, im Jahr 2020.
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