Mehr als 1,4 Millionen Rentner haben sich 2018 in Deutschland noch Geld hinzuverdient - somit jeder zwölfte. So viele wie noch nie zuvor, Tendenz steigend. Die Gründe sind unterschiedlich. Mal ist es die kärgliche Rentenzahlung, die aufgebessert werden muss, mal die reine Lust am Arbeiten. Drei Rentner erzählen.
"Dafür bin ich doch noch lange nicht zu alt": Unter diesem Motto haben wir die wize.life-User gefragt, ob sie trotz Rentenalters noch arbeiten. Die Reaktionen zeigen: Viele fühlen sich mit 65 aufwärts einfach tatkräftig, um mit der Arbeit, die ihnen Spaß gemacht hat, aufzuhören. Doch leider gibt es auch einige Menschen, die weiterschuften müssen, da die Rente so karg ausfällt. Wir haben für unsere Artikelserie 9 Beispiele ausgewählt. In Folge eins geht es um eine frühere Verkäuferin, die dringend etwas hinzuverdienen muss, um einen 71-Jährigen, dem der Absprung einfach nicht gelingt, und um eine Rentnerin, die lieber im Sandwerk arbeitet als fernzusehen.
Mehr Not als Segen: Wenn die Rente trotz lebenslanger Arbeit nicht reicht
Segen oder bittere Not? Bei Elisabeth Keßler ist es die Not, die sie auch als Rentnerin schuften lässt. Jedes Wochenende flitzt sie im Auto rund 50 Kilometer durch die Gegend, um Kranke und Alte mit Essen auf Rädern zu versorgen.
Abstriche als alleinerziehende Mutter
Fast ihr Leben lang arbeitete die 69-Jährige in der Textilbranche. Ursprünglich als Schneiderin – sie hat die Ausbildung zur Meisterin und Direktrice. Doch dann bekam sie ein Kind, ein Jahr später ließ sie sich von ihrem Mann scheiden. Damals wechselte Elisabeth Keßler in den Verkauf, da sich der Alltag als alleinerziehende Mutter so besser organisieren ließ. „Kitas gab es schon, aber ich wollte mein Kind nicht einfach abliefern“, sagt sie. Schließlich habe es schon auf den Vater verzichten müssen, und die Großeltern lebten in Österreich.
Bei einer Leihfirma zum Mindestlohn
Als am 8. Juli 2015 das Rentnerdasein fällig gewesen wäre, reichten die Bezüge hinten und vorne nicht. Zumal sie ein paar Jahre zuvor ihre Anstellung im Bekleidungsladen verloren und nur noch Teilzeit als Kassiererin gearbeitet hatte – über eine Leihfirma zum Mindestlohn. Vollzeit war aus Flexibilitätsgründen nicht erwünscht. „Ob der Arbeitnehmer damit gut zu Rande kommt, interessiert niemanden“, ist ihre Erfahrung.
Erst an der Kasse - dann bei Essen auf Rädern
Also ging es nach dem 65. Geburtstag weiter: Zunächst weiterhin an der Kasse als Mini-Jobberin. Im August 2018 musste sie allerdings aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Es dauerte ein drei viertel Jahr, bis sie als Rentnerin eine neue Anstellung fand: beim KBF – Essen auf Rädern. „Ich ärger‘ mich immer, wenn es heißt, dass es so viele Jobs für Rentner gibt. Das stimmt nicht“, sagt die 69-Jährige.
Im Grunde macht sie ihre jetzige Tätigkeit gern. „Ich tue damit etwas Gutes und bekomme auch noch Geld dafür“, sagt sie. Mindestlohn. Trotzdem belastet der Job sie auch. Denn: „Ich stehe zeitlich immer unter Druck.“
Im Zwiespalt aus Zeitnot
24 Kunden müssen bedient werden. „Ich soll das Essen bis spätestens 12.30 Uhr ausgeliefert haben, darf aber erst um 10 Uhr starten, da ansonsten der erste Kunde das Essen zu früh bekommt“, sagt sie. Manchmal muss sie in den 3. Stock hoch, ohne Aufzug. „Wäre ich körperlich nicht fit, könnte ich diese Arbeit nicht verrichten.“ Dazu steckt sie in einem Zwiespalt: Denn sie weiß, dass ihre Kunden gerne mit ihr reden, ihre Sorgen teilen wollen. Doch dazu sei einfach keine Zeit. „Es reicht immer nur für ein freundliches Hallo und wie geht´s.“ Was sie dabei tröstet: „Ich weiß, dass sich die Menschen freuen, wenn ich komme.“
Ihr Fazit: „Ich bin froh, dass ich diesen Job habe, aber als Segen kann ich ihn nicht bezeichnen. Ich würde am Wochenende auch lieber was anderes tun. Aber was tut man nicht alles für ein paar Cent mehr in der Tasche. Ohne diesen Zuverdienst würde mein Leben verdammt erbärmlich aussehen.“
Michael Eichhorn arbeitet mehr als er will – aber nicht wegen des Geldes
In ein paar Wochen feiert Michael Eichhorn seinen 72. Geburtstag – und noch immer arbeitet er 50 bis 60 Stunden in der Woche. Finanziell angewiesen ist er auf eine derartige Schufterei nicht. Er hat genug beiseitegelegt. Doch ihm gelingt einfach nicht der Absprung.
Mit 70 tritt er kürzer - ein bisschen
Von Geburt an ist Michael Eichhorn körperlich behindert. Ungeachtet seines Handicaps baute er eine Beratungsfirma auf, die eichhorn-consulting in Marl mit zeitweise zehn Mitarbeitern. Mit 70 merkte er, dass er kürzertreten sollte und verkleinerte die Firma, an der auch seine Frau beteiligt ist. Dennoch sind die Tage am Schreibtisch lang, und seine Gesundheit verschlechtert sich.
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Inzwischen sitzt Michael Eichhorn im Rollstuhl. „Ich muss mein Leben anders organisieren, aber ohne staatliche Hilfe, nur mit einigen Freunden als Helfer“, sagt er. Unterstützung zu beantragen lehnt er ab. Dazu sei er wohl zu stolz, gesteht er.
Buch über seine Lieblingshündin
Komplett mit der Arbeit aufzuhören, kann er sich nicht vorstellen. Auch in seinem Bekanntenkreis seien viele über 70 und würden noch arbeiten, sagt er. Ihm schwebt vor, nur noch Schulungen zu geben. Und er hat Ideen für andere Projekte, zum Beispiel ein Buch über eine Lieblingshündin Adonia, eine frühere Straßenhündin aus Rumänien, die ihm nicht von der Seite weicht und dafür sorgt, dass er an die frische Luft kommt. Noch allerdings sieht es nicht so aus, als würde es ihm gelingen, weniger zu arbeiten. „Ich ziehe Arbeit einfach an“, sagt Michael Eichhorn.
„Zu Jung zum Fernsehen“: Seniorin arbeitet im Sandwerk
„Dafür bin ich noch lange nicht zu alt“: Bei Ute Rombach müsste das Motto eigentlich umbenannt werden in „Dafür bin ich noch viel zu jung“ – trotz ihrer 67 Jahre. Sie sagt selbst von sich: „Ich bin einfach zu jung, um mich vor den Fernseher zu setzen.“
Lieber steht sie mindestens zweimal in der Woche in einem Sandwerk und weist die Brummifahrer an, wann sie stoppen müssen, um korrekt auf der Lkw-Waage zu stehen. „Ich wiege alles, was sich wiegen lässt und habe viel Spaß dabei, vor allem viele Kontakte und nette Gespräche“, erzählt sie.
Dabei hätte sie die Arbeit gar nicht nötig gehabt, sie sei vielmehr zum Job gekommen „wie die Jungfrau zum Kinde“ In der übrigen Zeit kommt auch keine Langeweile auf: Ute Rombach vier Enkel von zwei Kindern, ein altes Haus mit riesigem Garten. Sie geht täglich mit ihrem Hund wandern und liebt Städtereisen. „Dann singe ich noch zweimal in der Woche in zwei verschiedenen Kirchenchören als Tenor und fahre lustig mit meinem 125er Roller durch die Gegend“, zählt sie auf.
Wir wünschen weiter viel Freunde und Energie!
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