Coronavirus: "Vor allem die Rentner muss man jetzt wirklich schützen"

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"Die Lage ist ernst", sagt der Virologe Christian Drosten und empfiehlt, Ältere und Patienten mit Grunderkrankungen ganz besonders vor einer Infektion zu schützen

Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen müssen jetzt ganz besonders vor einer Infektion mit dem Coronavirus geschützt werden, sagt der Top-Virologe Christian Drosten. Bedeutet: Kinder nicht mehr bei Oma und Opa abgeben. Das Sozialleben einschränken. Die Vorschläge sind radikal. Doch: "Die Lage ist ernst".

Bis vor einigen Tagen hatten Virologen die Hoffnung, dass sie im Kampf gegen das Coronavirus noch ein Ass im Ärmel haben. Und zwar, ganz banal: Die Zeit. Denn der sich ankündigende Frühling und erst recht der Sommer könnten, so der Gedanke, die rasante Geschwindigkeit abbremsen, mit sich das Virus derzeit in aller Welt ausbreitet.

Coronavirus breitet sich vermutlich auch im Sommer aus

Manche Viren mögen steigende Temperaturen nicht. Die Wärme, die UV-Strahlen sind ihnen zuwider. Dazu gehört etwa das Grippevirus.

Doch offenbar nicht das neue Coronavirus SARS-CoV-2 . Das zumindest lege eine neue Studie einer "weltweit führenden Wissenschaftler-Gruppe" nahe, sagte Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charité am Montag (9. März 2020) im "Coronavirus-Update"-Podcast des Norddeutschen Rundfunks (NDR).

Die Forscher sagen demnach in ihrer Modellrechnung voraus, dass der Temperatureffekt auf das Virus relativ klein sein werde.

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Was bedeutet, dass das neue Coronavirus sich vermutlich auch in den kommenden Monaten weiter bei uns ausbreitet. Keine Verschnaufpause im Sommer also, die das Gesundheitssystem entlasten würde. Um sich auf eine weitere Infektionswelle im kommenden Winter vorzubereiten.

Durch "diese wichtige Studie" aus den USA habe sich seine Einschätzung der Lage verändert, sagt Drosten. "Wir müssen damit rechnen, dass ein Maximum an Fällen zwischen Juni bis August auftreten wird."

Drosten berät auch die Bundesregierung

Dazu muss man wissen: Christian Drosten ist kein Panikmacher. Kaum ein anderer in Deutschland kennt sich so gut aus mit SARS-Viren - zu denen auch das aktuell grassierende Coronavirus gehört - wie der Medizinprofessor aus Berlin. Drosten entdeckte 2003 mit anderen Virologen das SARS-Virus und entwickelte Anfang 2020 den Test für das neue Coronavirus.

Seine Einschätzung ist in diesen Tagen gefragt, er berät die Bundesregierung rund um das Thema Coronavirus und trat auch am Montag zusammen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor die Presse.

Im Video: Coronavirus: Das sagt der Experte

"Wir müssen damit rechnen, dass wir direkt in eine Epidemiewelle hineinlaufen werden", sagte Drosten da.

Drosten ist auch bekannt für seine radikale Transparenz. Seine Devise: Je mehr wir alle über das Virus wissen, desto besser ist es. Desto effektiver kann dessen Verbreitung eingedämmt werden.

Jetzt rät der Virologe zum Umdenken. Natürlich müsse die Strategie auch weiterhin sein, die Ausbreitung des Virus zu verzögern.

Experte: Zwei Gruppen in den Fokus zu nehmen

Doch Drosten rät dazu, angesichts begrenzter medizinischer Ressourcen vor allem zwei Gruppen vermehrt in den Fokus zu nehmen. Ganz zentral sei die Frage: "Welche Bevölkerungsgruppen müssen wir wirklich schützen?"

Die Antwort: Das sind die Älteren über 65. Und all diejenigen, die jünger sind, aber aufgrund von Grunderkrankungen wahrscheinlich ein größeres Risiko für schwere Verläufe haben, sollten sie sich mit dem Virus infizieren.

"Rentner muss man jetzt wirklich schützen"

"Vor allem die Rentner muss man jetzt wirklich schützen", sagt der Virologe. Die Rentner - weil sie mit einem Alter von meist über 65 Jahren genau in die kritische Altersgruppe fallen, die mit Blick auf das Virus besonders gefährdet sei.

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Bei jüngeren Infizierten - unter 60 und noch deutlicher bei den unter 50-Jährigen - ähnelten die durch das Coronavirus ausgelösten gesundheitlichen Beschwerden in den allermeisten Fällen einer Erkältungskrankheit, verlaufen also vergleichsweise harmlos.

Bei den älteren Patienten dagegen steige, so Drosten, "die Fallsterblichkeit rapide an" - bei ihnen ist das Risiko weitaus höher als bei Jüngeren, dass die Krankheit tödlich ist.

Ein Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 haben demnach außerdem Menschen mit Grunderkrankungen. Dazu zählt der Arzt:
Patienten mit

  • einer Immunsuppression, bei denen also das körpereigene Immunsystem unterdrückt ist
  • Tumor-Erkrankungen
  • Diabetiker
  • hohem Körperfett-Index
  • Herzerkrankungen
  • Lungenerkrankungen

Drosten: "Vor allem Herz-Vorgeschädigte scheinen betroffen zu sein."

Aus diesem Grund müssten diese beiden Gruppen - die Älteren und die Menschen mit Grunderkrankungen - möglichst davor geschützt werden, sich mit dem Coronavirus anzustecken.

Der Virologe empfiehlt dabei zwei unterschiedliche Maßnahmen-Pakete:

Home office für Jüngere mit Vorerkrankungen

Jüngere mit den genannten Vorerkrankungen sollten, wenn irgendwie möglich, für eine gewisse Zeit freigestellt werden oder von zuhause aus arbeiten. "Wir brauchen ganz schnell eine Regelung, die dies Arbeitgebern ermöglicht", sagt Drosten und nennt auch "finanzielle Hilfen für Arbeitgeber".

Und die Älteren? Hier setzt der Virologe auf die Zeit - und die Mithilfe der jüngeren Angehörigen. Seine Strategie lautet, kurz gesagt: Ältere Menschen möglichst ohne eine Infektion mit dem Coronavirus über den Sommer zu bringen.

Denn im Verlauf der kommenden Monate infizieren sich vermutlich immer mehr Jüngere mit dem Virus, so Drosten. Es komme zu einer "Durch-Infektion". Lehrbücher sprechen von "Durchseuchung", was brachial klingt, aber auch etwas Gutes hat: Wer das Virus aufschnappt, ist anschließend immun dagegen.

"Nach dieser Sommerwelle wird es zu einer Beruhigung kommen", so die Einschätzung des Virologieprofessors. "Und diese Sommerwelle wollen wir möglichst von den Älteren fernhalten."

Sozialleben möglichst einschränken

Doch wie kann das funktionieren, ganz praktisch?

Drosten denkt bei seinen Vorschlägen an eine Zeit bis September, Oktober. Einige Monate lang, sagt er, sollten Ältere ihre Kontakte und damit ihr Sozialleben möglichst einschränken. Fitnessstudio, Vereine, Schützenfest - "all das wird in diesem Sommer betroffen sein".

Auch von jüngeren Angehörigen werde, wenn man sich die Empfehlung zu Herzen nimmt, einiges abverlangt. Kinder sollten möglichst nicht mehr bei Oma und Opa abgegeben werden. Dafür sollten die Jüngeren für die Älteren einkaufen gehen, damit die nicht ständig in den Supermarkt müssen.

Drosten weiß, dass diese Vorschläge radikal sind. "Das wird für uns alle schmerzhaft und unbequem sein." Er spricht von einem "Dienst, den wir alle leisten müssen". Denn: "Die Lage ist ernst."

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