Drama, Baby! Warum das mit den Männern und der Mode nichts mehr wird

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Kolumne "Mittlere Reife": Hoodie als Fashion-Statement? Naja!

Hoodies unterm Sakko, Jogginghosen zum Mantel, Monster-Turnschuhe: Erwachsene Männer waren schon immer die Stiefkinder der Mode. Das aktuell herrschende Wurschtigkeitsdiktat aber gibt auch den Stilbewusstesten unter ihnen den Rest. Ein Stimmungsbericht aus dem Jammertal von Hermann Weiß

Ich weiß, es gibt wichtigere Probleme.

Aber: Ich verzweifle gerade so ein bisschen an der Mode.

Und ich würde echt gern wissen, ob es Leute gibt, denen es genauso geht wie mir.

Zum Beispiel weiß ich noch, was das für ein Gefühl war, wenn man mit 20, 30 oder 40 zum Winterausgang hin endlich wieder Licht am Ende des Tunnels sah.

Wie man, im glücklichsten Fall, an einem der oberitalienischen Seen gierig die Frühlingsluft einsog - und sich modisch mit einem dort erworbenen "Statement Piece" vielleicht nicht neu erfand. Aber plötzlich wieder spürte.

Leichter Sommermantel vom Comer See

Ein in Menaggio am Comer See erworbener heller, leichter Sommermantel zum Beispiel - wie Paul Weller auf dem Cover seines 1984er Style Council-Albums "Cafe Bleu" einen trug - kam mir damals vor wie eins der Teile eines Puzzles, an dem man sein Leben lang bastelt. Man konnte nie sicher sein, ob man das Puzzle je fertig kriegen würde. Andererseits war genau das ja auch das Aufregende! Und jetzt?

Foto-Quelle: Cafe bleu (1984)Gut gekleidet: Gitarrist und Sänger Paul Weller (r.) mit Keyborder Mick Talbot

Jetzt schreib' ich Statement Piece bewusst kursiv.

Ich meine: Ich find's nett und fast schon rührend, wie der standhafte Teil der Modepresse um Distinktion ringt - und mir gerade in diesen Tagen wieder ernsthaft erklärt, was Loafers sind oder Brogues, was einen Derby von einem Oxford unterscheidet. Klassische Lederschuhe! Bloß wenn ich in die Geschäfte gucke, sehe ich nur Sneakers.

Renaissance des Anzugs

Ich lese die "Suit up!"-Geschichten über die Renaissance des Anzugs gern - schließlich habe ich mich selbst auch an dem Thema abgearbeitet, hab' schon zu New Wave-Zeiten die guten, alten Glencheck-Anzüge meines Großvaters von einem Herrenschneider passend für mich umarbeiten lassen.

Ich bin nicht Tom Schilling, der passionierte Anzugträger unter Deutschlands Jung-Schauspielern, bei dem der Anzug zum Branding gehört. Aber als Giorgio Armani Richard Gere 1980 seinen fließenden "Mann für gewisse Stunden"-Look auf den Leib schneiderte, habe auch ich einen Sommer lang Doppelreiher getragen, schokoladenbraun, aus einem wunderbar relaxten Stoff.

Das fühlte sich an, wie's klingt. Machte einen aber schon damals, auf dem Peak des Trends, zum Exoten.

40 Jahre später hat sich nicht nur das mit dem Anzug erledigt.

Verzweifeln am Wurschtigkeitsdiktat

Als erwachsener Mann habe ich scheinbar nur noch die Wahl zwischen langsam verblassender Konvention und einem alles beherrschenden, großen modischen Wurschtigkeitsdiktat. Nur: Wo alles geht, ist auch alles egal, das ist das Problem - man kann das auf den Straßen und in den U-Bahnen, in Bars und Restaurants und neuerdings sogar bei offiziellen Anlässen sehen.

Keine Krawatte, offenes Hemd: Das reicht heute schon, um sich zum geschäftsführenden Ministerpräsidenten wählen zu lassen.

Auch sonst geht's drunter und drüber - und das können Sie in diesem Fall durchaus wörtlich nehmen.

"Mode" aus einer Art 3D-Drucker

Hoodie unterm Sakko zu Jeans und braunen Lederschühchen? Tuchmantel, egal ob exquisit oder von Zara, über ausgebeulten Jogginghosen zu Monster-Turnschuhen, die aussehen, als wäre im 3D-Drucker so gut wie alles schief gegangen?

Es würde mich nicht stören, wenn es sich um inszenierte Stilbrüche handeln würde. Aber mein Verdacht ist, dass hier nichts für irgendwas steht - und das ist natürlich Gift für Babyboomer wie mich, die mit ihren Styles, Looks und Codes immer auch Zeichen setzen wollten.

Vielleicht, denke ich, während ich das schreibe, hatte mein Vater ja doch Recht!

Gefühlt ist es noch nicht lange her, tatsächlich aber eine halbe Ewigkeit, dass ich mir mit ihm so etwas wie einen finalen Showdown in Stilfragen geliefert habe.

Bohemian im Nadelstreif

Meine Vorstellung von männlichem Charisma jenseits der 50 ging damals klar in Richtung Elder Statesman. Ich hätte mir einen Bohemian im Nadelstreif als Vater gewünscht.

Tatsächlich aber - und das wird mir jetzt immer klarer - war mein Vater ein Mann, der seiner Zeit um Lichtjahre voraus gewesen ist, der nicht nur nie einen Anzug mit Nadelstreifen besaß, sondern ab 50 nur noch zu formaler Kleidung griff, wenn es sich wirklich gar nicht vermeiden ließ. Lieber trug er Trainingsklamotten und Funktionskleidung - und sah darin so aus wie die jungen Leute, die zehn Jahre nach ihm in genau diesen Looks die Clubs bevölkerten.

Rentner-Greige nichts für meinen Vater

Ihm hätte das gefallen - wie übrigens auch all die "sportlichen" Blousons, die Kapuzenjacken mit Gummizug, die Steppwesten für den Übergang, wie man sie jetzt überall sieht. Bei Farben von Lindgrün bis Rentner-Greige hätte er die Nase gerümpft. Er mochte es (vorsichtig formuliert) kräftiger. Unmissverständlicher. Aber sonst hätte er sich wie nach seinem New York Marathon, auf die lange Distanz, als Sieger gefühlt.

Bei dem Gedanken muss ich dann schon fast wieder schmunzeln.

Hermann Weiß schreibt in seiner "Mittlere Reife"-Kolumne diese Woche über Mode
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