OMA ERNA
Mit den Händen in der blauen Kittelschürze stand sie in der Tür ihres Tante Emma Ladens.
Es regnete, wie immer diesen Frühling, und es war viel zu kühl. Ihre Geranien wollten überhaupt nicht wachsen und die Sonnenblumenpflänzchen wurden schon ganz gelb und schienen verfaulen zu wollen.
Erna putzte sich die Nase, schüttelte den Kopf, setzte sich die Brille zurecht und schlurfte hinter die blitzblanke Ladentheke. Sie polierte sie nun schon zum fünften mal, sah gedankenverloren auf das gerahmte Bild mit dem schwarzen Band neben dem Fenster und seufzte tief..
"Ach, Willi. Es wird immer einsamer hier; der neue Supermarkt wirbt mir die Kundschaft ab und wenn nicht bald die Sonne kommt und die Kinder zum Baden an den See fahren, dann lohnt sich unser kleiner Laden kaum noch. Es macht keine Freude so alleine."
'Ich lass' dich schon nicht alleine, meine Beste', schien das Bild an der Wand zu sagen und Willi zwinkerte ihr zu. Fast lächelte sie schon wieder, nahm eine der Zeitschriften und setzte sich an das Tischchen in der Ecke. Zu gerne las sie die Gazetten und war ganz vertieft, als die Bimmel über der Ladentür ging, ein kleines Mädchen mit kurzen, dunklen Zöpfchen herein wirbelte und rief:
"Sie kommen, Oma Erna , sie kommen!"
Erstaunt sah sie auf. " Die Schwalben, Oma Erna, sie sind wieder da!", sagte Anja aufgeregt, zog sich die weissen Kniestrümpfe wieder hoch und rückte das graue Faltenröckchen zurecht.
" Da kannste mal sehen; der Willi hat es schon vor ein paar Tagen gesagt, weisst du?"
Anja machte grosse Augen. "Dein Opa Willi? Hat er gesagt?"
Erna nickte, nahm einen schönen, roten Apfel aus dem geflochtenen Weidekorb und gab ihn der Kleinen.
"Der ist für dich und jetzt lauf schnell wieder heim zur Mami. Und Opa Willi", sie legte den Zeigefinger auf den Mund," das bleibt unser Geheimnis, ja?"
Die Kleine nickte, knickste und lief wieder nach draussen.
Aber das Wetter wurde nicht besser. Nach ein paar Tagen nahm sie den Koffer, ihren Mantel und den Hut und hängte ein Schild vor die Ladentür. '14 Tage geschlossen' stand darauf und das Datum. Sorgfätig schloss sie zweimal ab und klappte die Fensterläden zu.
Am Abend fiel, ein paar Häuser weiter, Margarete die letzte Mehlpackung aus der Hand und zerplatzte am Boden. Waltraud war der Braten angebrannt und brauchte dringend Oma Erna's Leberpastete im Glas als Ersatz. Helmut hatte sich verkühlt und schwor auf die selbstgemachte Honig-Salbei- Bonbons. Ein wandernder Puppenspieler suchte dringend eine günstige Unterkunft und Anton war die gute Schafsmilchseife ausgegangen. All dies gab es stets bei Oma Erna und sie war immer parat, bis zu diesem Tag. Verwundert standen alle vor der verschlossenen Tür. Als auch Theo angelaufen kam und erzählte, wie ihm auf unerklärliche Weise die volle Kaffekanne umgefallen war und sich über die Fernsehzeitung ergossen hatte, redeten alle durcheinander. Nur die kleine Anja, die an der Hand der Mutter mitgekommen war, wusste zu erklären, dass tagelang keine Kundschaft zu Oma Erna gekommen war. Betroffen und betreten nickten sie einander zu und bei Kronenwirt's Klara, am Stammtisch, entwarfen sie einen Plan. Theo schrieb auf die Rückseite eines Bierdeckels, alle steuerten eine Idee bei und freuten sich auf Oma Erna's Rückkehr.
Mit festen Schritten ging sie über die Bahnschranke, den Mantel über dem Arm und freute sich auf ihr Zuhause. Der Besuch bei ihrer Schwester hatte wirklich gut getan, aber jetzt hatte sie es eilig und wollte noch etwas auf der kleinen Bank vor der Ladentür den Sonnenuntergang erleben.
Erstaunt war sie stehen geblieben, als sie beim Kronenwirt um die Ecke kam.
Über die ganze Kreuzung vor dem Laden waren Tische und Bänke aufgestellt. Lampions und Girlanden hingen an den unteren Zweigen der Ahornbäume und viele Leute aus dem Dorf waren so versammelt. Ein Hündchen bellte freudig, als es Erna sah und lief ihr entgegen. Einen Moment lang war es ganz still geworden ,
dann erklang des Puppenspielers Fidel und Antonio haute begeistert in die Tasten seines Akkordeons. Über ihnen stand auf einer langen Stoffbahn in grossern Lettern:
" Willkommen zuhause, Oma Erna !"
Heiner nahm Erna den Koffer aus der Hand und sagte:" Darf ich bitten ?"
' Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün.', - so walzte er mit ihr über die Kreuzung und Erna strahlte über das ganze Gesicht.
Bis Mitternacht war es ein ausgelassenenes, fröhliches Strassenfest und es hatten sich noch mehr Leute dazu gesellt, als der Puppenspieler irische Balladen zum Besten gab. So wollten sie es alle nun jeden Samstag dieses Sommers halten.
Alle Lichter waren erloschen, Bänke und Tische weggeräumt und Erna sass nachdenklich und zufrieden noch ein paar Minuten auf ihrem Bänkchen vor dem Laden. Wie aufmerksam sie alle gewesen waren und hatten versprochen, wieder öfter vorbei zu kommen.
Ein paar Tage darauf, als sie in ihrem Laden stand, kaufte die kleine Anja ein Pfund Zucker. Erna wog ab, füllte eine Papiertüte und bemerkte, wie das kleine Mädchen mit offenem Mund Opa Willi's Bild anstarrte.
"Da ", sagte es leise, "da , das Bild. Opa Willi zwinkert mir zu !"
Oma Erna lächelte und meinte: " Ja, das tut er wohl. Mein Willi möcht mich nicht alleine lassen. Dann bis spätestens Samstagabend, Anja.", und winkte ihr hinterher.
Nachdenklich stand sie vor Opa Willi's Bild. Waltraud's verkohlter Braten, bei unterster Stufe und nach dreissig Minuten schon ....die umgefallene Kaffeekanne, ohne dass sie jemand berührt zu haben schien, all dies war doch nun wirklich sehr merkwürdig. Nur Zufall ?
Müde setzte sie sich auf die Bettkannte an diesem Abend, als sie bemerkte, dass die Kerze flackerte und sich ohne einen Windhauch und bei geschlossenem Fenster, die Gardiene aufbauschte.
Sie hätte schwören können, dass Willi auf ihrem Schaukelstuhl sass, der ganz offensichtlich knarrte und wippte. Wie früher spielte er auf seiner Mundharmonika ...
' Abends treten Elche aus den Dünen,
ziehen von der Palve an den Strand.
Wenn die Nacht wie eine gute Mutter
leise deckt ihr Tuch auf Haff und Land'
- und sie roch den Rauch seiner dampfenden Pfeife.
"Manchmal muss man ein bisschen nachhelfen. Nicht böse sein, Erni. Ich hatte es dir versprochen, immer bei dir zu sein", hörte und sah sie ihren Willi reden. Dann stand der Schaukelstuhl still und die Kerze brannte hell und ruhig. Tief schlief sie diese Nacht und ohne Unterbrechung.
Ungefähr zehn Jahre später brachte ein etwa 16 jähriges Mädchen einen Blumenstrauss auf Oma Erna's Grab. Ein Emaille- Bild zierte den roten Marmorstein und Anja kniete andächtig davor. Sie hatte den ersten, heftigen Liebeskummer und berichtete schluchzend von ihrem Leid.
Da riss die Wolkendecke auf und ein heller Sonnenstrahl schien auf Oma Erna's Grab. Noch durch ihre Tränen sah Anja, wie Oma Erna ihr zuzwinkerte.
' Ich bin immer bei dir, alles wird gut', hörte das Mädchen sie sagen. Eine kleine , weisse Feder fiel auf den Grabhügel und Anja nahm sie dankbar und getröstet an sich. In ihrem Medallion trug sie es um den Hals und als sie an ihrem Hochzeitstag mit angelegtem langem, weissen Schleier es wieder trug, lächelte sie in den Spiegel. Zuversichtlich sah sie ihrer Zukunft entgegen und ruhig legte sie eine Hand auf ihren Bauch. Eines Tages würde es einmal ihr Töchterchen bekommen.
`' Alles wird gut, mein Kind' und laut wiederholte sie dieses Raunen aus ihrem Herzen.
Copyright Susanne Hagan
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