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Der Stau II

Der Stau II

15.08.2017, 16:37 Uhr
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Der Stau II

Max grinst und sagt zu seinem Vater: „Ein Stau der sich gelohnt hat.
Fortsetzung:
Werner antwortet zögerlich: „Schau`n wir mal wie es weiter geht. Nach 1 1/2 Stunden ohne Behinderung fahren sie auf den Hof des Zweifamilienhauses in Bad Salzuflen. Der rote Bulli findet dort auch einen Parkplatz. Werner hupt kurz. Alle steigen aus und recken und strecken sich. Es ist ein großes Haus. Zwischen den Weltkriegen erbaut. Die Fenster sind schmal und hoch, wie es damals üblich war. Der Architekt hat den Anbau den Gegebenheiten gut angepasst. Die feudale Eichenholz-Tür öffnet sich. Annes Mutter kommt die 5 Marmorstufen hinunter und umarmt lächelnd Maike und Max. „Schön, dass ihr wieder da seid. Jetzt kommt endlich wieder Leben ins Haus. Margarete Kronenberg sieht man ihre 70 Jahre nicht an. Sie ist eine sehr gepflegte Erscheinung. Die grauen Haare sind im Nacken zu einem Knoten gesteckt.
Werner schließt im Nebengebäude die Haustür auf. Er hört noch wie Margarete zu ihrer Nichte sagt:
„Guten Abend Anne, wir haben uns lange nicht gesehen. Es klingt merkwürdig kühl. Er hat nichts anderes erwartet. Cordula fragt: „Ist Vati nicht da?“ „Nein ich bin allein. Du weißt doch, an diesem Wochenende ist das große Treffen aller Chöre aus Deutschland in Nürnberg. Er kommt morgen erst wieder.“
Die nächste Stunde verläuft, wie vorher gesagt, ziemlich chaotisch Eine Luftmatratze wird gesucht und dann in Maikes Zimmer aufgepumpt. Schön, dass Margarete alle Räume schon gelüftet hat. Auf dem Küchentisch steht ein bunter Dahlien – Strauß, aus dem eigenen Garten.

Max lugt durch die Tür von Maikes Zimmer. „Sophie komm wir zeigen dir unseren Kaninchenstall.“ Fröhlich plappernd stehen sie kurz darauf im Garten. Keiner achtet auf Margarete, die ihnen gefolgt ist. Sie will nicht lauschen, nur die Reaktion der Kinder beobachten, wenn sie den großen schwarzen Rammler entdecken. Opa hat ihn als Überraschung für seine Enkel in der vergangenen Woche erworben. Begeistert wird das Tier lautstark bewundert. „Den nennen wir Zeuss“ beschließt Max. Dann denken wir jeden Tag auch an eure Dogge.“ Maike traut sich Sophie etwas zu fragen, was sie nicht verstehen kann: „Sophie sag mal warum nennst du deine Mama – Anne.“ „Och“, antwortet diese, „Anne ist nicht meine richtige Mutter. Als meine Mutter starb war ich erst vier Jahre alt. Meine Großeltern wohnen im Nachbarhaus. Seitdem Anne bei Vati ist, durfte ich auch wieder mein erstes Kinderzimmer beziehen.“ „Wie lange wohnt Anne bei euch?“ fragt Max, „seit einem Jahr. Sie ist ganz lieb. Vati hat sie übers Internet kennen gelernt. Nur soll ich das keinen fremden Leuten erzählen. Geheiratet haben sie noch nicht. Ihr seid ja Verwandte, da darf ich das ruhig sagen, denke ich.“ Margarete hat genug gehört. Leise geht sie zurück ins Haus. Sie denkt: ach Anne ich konnte dein Vertrauen nie gewinnen. Zwanzig Jahre – wo und mit wem erlebtest du sie? In ihrer Küche kocht sie eine große Kanne Tee und bringt diese mit einer Platte appetitlich aussehenden Broten, die fertig im Kühlschrank standen, hinüber.
Nach dem Abendbrot verziehen sich die Kinder in ihre Zimmer. Werner und Cordula räumen ihre Koffer aus. Josef war den ganzen Abend schweigsam. Bisher hat er noch keinen Verwandten seiner Freundin kennen gelernt. Nun steht er auf und sagt: „Jetzt muss ich mich um Zeuss kümmern. Gibt es hier in der Nähe einen Feldweg, auf dem wir niemanden belästigen?“. „Ja,“ sagt Margarete, „aber vorher zeige ich euch unser Gästezimmer. Anne du holst bitte nur eure Nachtwäsche, nebst Waschzeug aus dem Wagen. Handtücher lege ich für euch ins Bad. Mehr braucht ihr heute Abend nicht.“ Im Gästezimmer sagt sie: „Anne du hast hier damals oft geschlafen, es ist Cordulas früheres Kinderzimmer. Gleich möchte ich dich sprechen. Mein Arbeitszimmer ist gegenüber, vielleicht erinnerst du dich noch daran.“
War doch keine gute Idee, denkt Anne. Folgsam klopft sie nach 20 Minuten an Tante Margaretes Bürotür. Keine liebevolle Tante, auch keine liebe Oma, sondern die pensionierte strenge Lehrerin Frau Dr. Kronenberg – Roehl erwartet sie. Gelassen, äußerlich ruhig und diszipliniert weist sie auf den harten unbequemen Stuhl, der auf der anderen Seite des Schreibtisches steht. „Bitte setz dich.“
Trotzig, wie früher als Teenager schaut die Jüngere sie an. „Du hast es doch gehört, es ist ein Zufall dass wir uns begegnet sind. Cordula hat uns herzlich eingeladen. Sie trägt mir nichts nach. Im Gegenteil sie bat mich um Verzeihung.“ „Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Du konntest Menschen schon als Kind so manipulieren, dass sie gar nicht merkten, wie du die Tatsachen verdrehtest.“ Obwohl sie allein im Haus sind und niemand etwas hören kann, verbietet sich Margarete laut zu werden. Du denkst vielleicht ich wäre dement und hätte alles vergessen was du uns angetan hast. Ich will deine Erinnerung auffrischen.
Meine jüngere Schwester Lisa heiratete den falschen Mann. Obwohl unsere Eltern sie eindringlich warnten zog sie mit ihm nach Hamburg. Lange hörten wir nichts von ihr. Unsere Mutter starb vor Kummer um ihre verlorene Tochter. Du kamst mit 10 Jahren schwer traumatisiert zu uns. Nach Lisas tödlichem Verkehrsunfall wurde deinem Vater das Erziehungsrecht entzogen. Das Hamburger Jugendamt ermittelte unsere Adresse und fragte nach, ob wir dich aufnehmen würden. Mit offenen Armen holten wir dich aus Hamburg. Cordula freute sich eine große Schwester zu bekommen. Jetzt muss ich bekennen – ich habe versagt. Du sahst aus wie meine Schwester Lisa. Leider hattest du die Veranlagungen deines Vaters geerbt. Lange Zeit ignoriert ich das, weil ich es nicht wahr haben wollte. Schon mit 10 Jahren konntest du lügen ohne rot zu werden. Die ruhigen Jahre bei uns konnten die Erfahrungen der frühen Kindheit nicht mehr tilgen. Alles was dir gefiel nahmst du dir. Hier und heute trägst du meine Ohrringe und meinen Ring, den mein Mann mir zu Cordulas Geburt schenkte.“
Verdammt, denkt Anne und legt ihre linke Hand über den Ring. Ihn mit einer Entschuldigung zurück zu geben, kommt ihr nicht in den Sinn. Margarete klagt sie weiter an: „Deine Unverschämtheiten wurden immer rücksichtsloser je älter du wurdest. Viele Tränen habe ich deinetwegen vergossen. Du verführtest Cordulas Freunde und überzeugtest sie, dass es allein ihre Schuld sei, weil sie sich die falschen Jungen aussuchte. Manchmal kam die Polizei ins Haus. Kaufhausdiebstahl, Sachbeschädigungen, Pöbeleien auf offener Straße wurden dir und leider auch Cordula vorgeworfen. Ich erwischte euch mit Drogen. Ihr saht beide aus wie Zombies mit schwarzen Klamotten und roten oder grünen Haaren. In meiner Schule durfte niemand wissen dass ich mit euch verwandt war. Nicht Cordula hat sich von dir getrennt, ich sorgte dafür, dass du eine Wohnung in der Stadt bekamst als du deinen 19. Geburtstag feiertest und verbot dir unser Haus. Damals versuchtest du meinen Mann zu becircen, mit aller Raffinesse der du fähig warst. Vielleicht bist du jetzt vernünftiger geworden.“ Traurig sprach sie zu sich selbst; „Nein, ich denke, das wäre zu viel verlangt.
Es ist mir Wichtig, dass die Kinder von diesen Ereignissen nichts erfahren.“

Morgen früh erfindest du einen Grund, warum ihr sofort nach Hause fahren wollt. Wage ja nicht irgendetwas mitzunehmen, was dir nicht gehört. Wenn du dich weigerst werde ich deinem Josef noch viel mehr erzählen. Dann stehst du wieder auf der Straße. „Das ist Erpressung,“ weinte Anne.
„Deine Tränen können mich nicht rühren, darauf bin ich oft genug reingefallen. Äußerlich unbeeindruckt fuhr sie fort: „Du kannst jetzt gehen.“ Anne war entlassen worden, wie früher die Schülerinnen nach einer Gardinenpredigt. Sie erhob sich und verließ den Raum. Die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Margarete legte erschöpft den Kopf auf ihre Arme und weinte bitterlich.

Werner, der noch nach den Kaninchen schaute, sieht das Licht in Margaretes Büro brennen. Seine Schwiegermutter, die sich sonst immer sehr gerade hält, sitzt mit gekrümmten Rücken und bebenden Schultern unter der Tischlampe.
Eine viertel Stunde ist vergangen. Leise klopft es an der Tür des Arbeitszimmer. Margarete putzt sich hastig die Tränen ab: „Herein“. „Darf ich dich stören, Schwiegermutter?“ Werner tritt ein, in der Hand hält er zwei Weinbrand Gläser und eine Flasche Weinbrand. Ich habe hier ein bewährtes Mittel gegen Gefühle-Stau.“
Ein tiefer Seufzer erfüllt den Raum: „Danke Werner du bist der Beste. Der Besuch wird uns morgen nach dem Frühstück verlassen. Eine Bitte habe ich noch ---“ „Ich weiß schon, Cordula übernehme ich. Sie hat die damaligen Ereignisse, die ich nur von dir erfahren habe, vollkommen ausgeblendet“ und will sich an NICHTS mehr erinnern.“

copyright: Marga Koch

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