Jonas ist ein Studienfreund meiner mittleren Tochter. Warum ich mit ihm die ganze Zeit bis heute Kontakt gehalten habe? Wir waren uns sympathisch, seinen Kindern habe ich oft den Opa gegeben und mit seiner Frau habe ich gerne über Bücher und Literatur gesprochen. Jonas hat Jura und BWL studiert und eine Riesenkarriere bei MacKinsey hingelegt. Sehr engagiert im Beruf und dennoch hat er immer auch auf seine Freizeit und auf sportliche Betätigung Wert gelegt: Gelegentlich Radl fahren, Rennrad, selbstverständlich, für ein paar Runden um den See oder so, Standup Paddeln, Ski fahren, Drachenfliegen .... Für seine Familie hat er ein geräumiges Haus gekauft (du musst um ein Haus herum gehen können, sonst ist es kein Haus. Hat er immer gesagt) und eingerichtet und seine wenigen Urlaubstage hat er mit seiner Familie dort verbracht, wo es traumhaft und richtig teuer ist.
Als ich ihn vor 14 Tagen besuchen wollte, schickte mich seine Frau in das Krankenhaus, wo er lag. Er war auf einem einfachen, normalen Bürgersteig in Lyon aus unerfindlichem Grund gestolpert und mit dem Rücken auf die Stufe zur Strasse geprallt, gefallen, wie niemand fallen sollte. Seine Wirbelsäule wurde in Höhe der Brust verletzt, 2 Wirbel brachen, im Bereich eines Wirbels wurde das Rückenmark komplett durchtrennt: Querschnittlähmung. Ich habe etwa 2 Stunden an seinem Bett gesessen, wir konnten beide kaum reden unter dem Eindruck dieser Zäsur. Ich fühlte mich einfach hilflos und habe jede Vorstellung des Geschehens einfach verdrängt. Kurz bevor ich ging sah er mich an und sagte: Mann, machs gut, und lass dir mal was sagen: Ich habe dich immer beneidet und wusste nie so genau, warum. Schon als du noch deine Firmen gemanagt hast und voll im Berufsleben standest, dich nie gelangweilt hast und oft genug ins Risiko gegangen bist um zu gewinnen oder zu verlieren. Heute weiß ich es: Du hast vieles nicht getan, um Zeit mit deinen Frauen und Töchtern zu verbringen, dich mit dir selber zu beschäftigen und mit deinen Freunde. Das wollte ich später auch so machen. Aber was ist später? Heute bin ich knapp 40 und es wird nie mehr ein Später geben.
"Später" habe ich zuhause gesessen und geheult. Wegen dieser beschissenen Hilflosigkeit, die einen anfällt wie ein räudiger Hund und dir klar und deutlich macht, was jeder von uns als Einzelwesen doch für ein unwichtiges Etwas ist, wenn "das Leben" dir zeigt, wo es lang geht.
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