Dieser von Boethius stammende Sinnspruch wird heute gelegentlich für Politiker angewendet, die sich – bildlich gesprochen – mit schnell dahingeworfenen Sentenzen 'um Kopf und Kragen reden'. Und man findet in der Geschichte der Bundesrepublik Beispiele dafür, dass Politiker, die schon ziemlich hohe Sprossen ihrer Karriereleeiter erreicht hatten, tatsächlich durch einen einzigen unbedachten Spruch einen Karriereknick hinnehmen mussten oder gar das unrühmliche Ende ihrer Laufbahn erlebten.
Nun gehört Reden – und nicht Schweigen – zu den wichtigsten Wesensmerkmalen von Politikern. Wer gut reden kann und es auch tut, hat gute Aussichten, gehört und auch gewählt zu werden. Reden um zu überzeugen, Anhänger und Wählerstimmen zu gewinnen – das ist das Werkzeug und die Methode, mit welchen politische Erfolge erzielt werden.
Redefreiheit für alle, das ist eine der Säulen, auf denen das Gebäude der Demokratie ruht. Wenn diese Säule bröckelt, beschädigt oder beseitigt wird, ist das Gebäude instabil oder bricht gar zusammen. Rede- und Meinungsfreiheit gehören untrennbar zusammen. Wird die Redefreiheit beschnitten, ist auch die Meinung nicht mehr 'frei', da sie nicht mehr ausgesprochen - also auch nicht mehr gehört – werden kann. Das jedenfalls ist der Grund, weshalb Diktatoren keine freie Meinungsäußerung zulassen. Diktatoren glauben, oppositionelle Gedanken und Meinungen unterdrücken und verhindern zu können, indem sie diese 'unhörbar' machen, also oppositionelle Äußerungen bei Strafe verbieten. Sie scheinen zu denken: Wenn man keine Opposition wahrnimmt, gibt es auch keine.
Dass dieser Glaube in Irrglaube ist, dafür liefert die Geschichte eine Unmenge an Beispielen. „Die Gedanken sind frei“, so heißt es in einem alten Volksliede. Man kann einen Menschen daran hindern, sie auszusprechen, aber nicht, sie zu haben.
Diktaturen erkennt man am einfachsten daran, dass es in ihnen nur eine 'veröffentlichte' Meinung gibt: die der Herrschenden. Die Meinungsträger und -verbreiter (die Medien aller Art) sind 'gleichgeschaltet'. Bis in die jüngste Zeit ist es einigen Diktatoren weltweit gelungen, den Eindruck zu vermitteln, ihr Volk stünde 'wie ein Mann' hinter ihnen und unterstütze sie in ihrem absoluten Herrschaftsanspruch So war es bei den Nazis, und so ist es noch heute bei einigen wenigen absolutistisch regierten Ländern. „Ein Reich, ein Volk, ein Führer“, das war damals das Erfolgsrezept, an dessen Verwirklichung sie auch heute noch basteln.
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Seit nunmehr über siebzig Jahren genießen wir das Privileg, in einem demokratisch regierten Land zu leben. Unsere Verfassung garantiert uns die dazugehörigen Freiheiten, u.a. auch die Rede- und Meinungsfreiheit. Sie sind uns aus den genannten Gründen so wichtig, dass wir uns ständig darum bemühen müssen, sie zu bewahren, denn sie sind immer wieder mal in Gefahr, verletzt oder beseitigt zu werden. Wir müssen sie verteidigen gegen jeden Angriff, woher immer dieser auch kommen mag.
Wo es freie Meinung gibt, gibt es auch Meinungsunterschiede. Diese können Anlass zu erbitterten Auseinandersetzungen, Wortgefechten (welch kriegerischer Ausdruck), sein. Oft genug werden diese 'bis aufs Blut' geführt, so dass Menschen darunter leiden. Nicht nur ist es schmerzlich, sich ins Unrecht gesetzt zu sehen, weil man z.B. eine Minderheitsmeinung vertritt, sondern in den Debatten werden oft genug unlautere Waffen benutzt: Lügen, Verleumdungen, Erniedrigungen, Gossen- und Fäkalsprache, usw. Menschen werden zur Verzweiflung getrieben, weil ihnen Unrecht geschieht. Inzwischen weiß man: auch Worte können töten.
In einer Demokratie brauchen wir das, was man 'Streitkultur' nennt. Worum geht es dabei? Der Wortteil 'Kultur' deutet an, worauf es ankommt. Kultur ist etwas zutiefst Menschliches, eine Errungenschaft, die mit der Entwicklung des Menschen zu einem vernunftbegabten Wesen einher geht. Kultur ist nicht naturgegeben, sie entsteht nicht von selbst, sondern sie braucht Regeln, Vereinbarungen, Abmachungen, Verständigung, Erfahrung, Anstrengung, Lernbereitschaft, persönlichen Einsatz und noch vieles mehr, wenn sie erfolgreich sein soll. Und wenn sie allen Beteiligten von Nutzen sein soll, dann braucht sie noch etwas: Toleranz, d.h. , die Meinung des Debattengegners zu ertragen, zu respektieren, auch wenn sie einem nicht gefällt, Man muss sie sich ja nicht zueigen machen. In 'politicis' gibt es keine Wahrheiten, die für alle gelten. Politik besteht im Wesentlichen aus Kompromissen. Daher kann es in politischen Streitgesprächen auch keine Sieger und keine Verlierer geben. Es gibt auch keine Dogmen, die für alle und in aller Ewigkeit gültig sind. Politische Entscheidungen sind nie endgültig, sind stets revisionsfähig und auch oft revisionsbedürftig, also einem stetigen Wandel unterworfen. Sie gelten nur, solange die dafür maßgeblichen Voraussetzungen Gültigkeit besitzen.
In einem anderen Themenbeitrag wird die Gültigkeit des alten deutschen Sprichworts 'Reden ist Silber, Schweigen ist Gold' zur Diskussion gestellt. Der ursprüngliche Sinn des Spruchs war wohl dem des lateinischen Sinnspruchs von Boethius ähnlich. Reden zu können über etwas, was einem am Herzen liegt, was man für wesentlich ansieht, von dem man etwas versteht, wovon man jemanden überzeugen möchte, was man für wahr und richtig hält usw. ist ungemein wichtig für jeden von uns. Das ist es, was auch der Redefreiheit so viel Gewicht verleiht.
Es gibt aber Situationen, da ist es besser und empfehlenswert zu schweigen. In einer freien, demokratischen Gesellschaft darf jeder sagen, was er denkt, auch wenn es anderen noch so absurd
erscheint, ja sogar, wenn es in der Tat absurd ist. Alles was denkbar ist, ist auch sagbar – doch muss man alles denkbare auch sagen? Ich meine: nein. Man sollte schweigen, wenn das, was einem 'auf der Zunge liegt', einem anderen Leid zufügt, wenn man ihn also im Wortsinne 'be-leidigt'. Ebenso kann Schweigen wirklich 'Gold' sein, wenn das Reden über etwas keinen erkennbaren Nutzen verspricht. Und wenn man glaubt, reden zu müssen, dann sollte man sich auch vergegenwärtigen, welche Wirkung das Gesagte bei dem Angesprochenen ausübt. Man sollte seine Worte gut abwägen, weil man sonst Gefahr laufen kann, einen nicht beabsichtigten Sturm zu entfachen, bei dem man selbst Schaden nimmt. Sicher gibt es noch viele weitere Gründe, weshalb Schweigen geboten sein kann.
In dem erwähnten Themenbeitrag wird auch behauptet, dass immer mehr Menschen in unserem Lande und auch bei WL aus Angst schweigen, weil sie fürchten müssen, wegen ihrer von der Mehrheitsmeinung abweichenden Gesinnung bestraft oder benachteiligt zu werden. Wäre diese Behauptung stichhaltig, müsste man darin in der Tat bedenkliche Anzeichen einer Entwicklung in Richtung Meinungsdiktatur sehen. Was ist also dran an dieser Behauptung?
Ich meine: gar nichts. Noch ist mir kein einziger Fall bekannt, in welchem jemand wegen einer kritischen Meinungsäußerung zur Politik der Regierung bestraft wurde – es sei denn, er hätte gegen einschlägige im Grundgesetz verankerte Regelungen verstoßen. Bestrebungen einiger Politiker, die Meinung der Massen in ihrem Sinne zu beeinflussen, zu manipulieren, dazu auch legale und illegale Mittel zu benutzen, hat es schon immer gegeben. Dass solche Versuche wirkungslos bleiben, dafür sind Gerichte zuständig. Gegebenenfalls könne diese von jedem Bürger angerufen werden, der seine Meinungsfreiheit eingeschränkt wähnt.
Man darf - und manchmal sollte man sogar – bei uns Politiker und ihr Handeln durchaus kritisieren, ohne befürchten zu müssen, dafür bestraft zu werden. Voraussetzung ist dabei natürlich auch, dass solche Kritik in respektvoller Weise und im gesetzlich geregelten Rahmen geschieht. Wer die Grenzen des Anstands und der Achtsamkeit überschreitet, darf sich nicht wundern, wenn er energisch zurückgepfiffen wird. Schließlich wünschen wir uns alle keine Anarchie und kein Chaos.
Wenn sich einige User hier über vorgeblichen 'Meinungsterror' beklagen, so kann das nur daran liegen, dass sie jeglichen Widerspruch als Unterdrückung ihrer eigenen Meinung empfinden. Die davon Betroffenen sollten sich in einer ruhigen Minute einmal selbst fragen, was sie mit ihrer Art, anderen ihre Meinung aufzudrücken, bei ihren Kontrahenten bewirken. Auch in diesen Fällen wäre Schweigen vielleicht doch Gold, weil es einen wesentlichen Beitrag zur Entgiftung der Debatten darstellen würde. Noch einmal: bei kontroversen politischen Themen kann es keine 'Sieger' geben. Wer am Ende (und dieses kann in zeitlich sehr weiter Entfernung liegen) Recht behält, kann sich ja dann selbstgefällig auf die Schulter klopfen in dem Bewusstsein, als Sieger aus dem Streit hervorgegangen zu sein. Wenn es ihm psychisch hilft und er es braucht, na dann: Zum Wohl !
(c) Ka
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