Verena Holder ist begeistert. Der kurze Aufstieg nach Schloss Sigmundskron hat sich gelohnt. Eben hat sie leibhaftig mit ihrem Helden sprechen können. „Mei, der Reinhold Messner, den kennt man ja sonst nur vom Fernsehen. Und hier ist er so privat!“ Die 39-jährige aus Nordrhein-Westfalen ist mit Ehemann Richard und den Söhnen Roland und Thomas am späten Freitagabend auf das romantisch beleuchtete Schloss gewandert, um den weltbekannten Bergsteiger hautnah zu erleben. Gut gelaunt erzählt er in lauer Sommernacht am Lagerfeuer Geschichten aus seinem abenteuerlichen Bergsteiger-Leben. Geduldig stellt sich der 69-Jährige im karierten Freizeithemd und Jeans anschließend den vielen persönlichen Fragen der Besucher.
Erlebnisse wie dieses stehen im Mittelpunkt der „Castelronda“ in Bozen. „Sechs Burgen in drei Tagen erleben“, lautet das Motto der touristischen Initiative, die im Juni vom Verkehrsamt von Südtirols Landeshauptstadt ins Leben gerufen wurde. Hinter dicken alten Mauern locken Geschichten, Genuss und Getöne und ein ganz eigener Blick durch die Fenster und von den Zinnen hinunter auf Südtirol. Jede der sechs Burgen bietet während des Castelronda-Wochenendes zudem verschiedene Themenschwerpunkte, ein historisches Musikprogramm und ein passendes kulinarisches Aufgebot vom Knödel-Tris bis zu den Südtiroler Strauben. Alle Burgen lassen sich von Bozen aus prima erwandern oder per Fahrrad ansteuern. Wem das eine oder andere Ziel doch zu weit ist, kann auch den Bus-Shuttle-Service nutzen, der die Burgen im Stundentakt verbindet.
„Rund um Bozen gibt es eine Vielzahl von einzigartigen Burgen und Schlössern: die einen sind sehr ritterlich, die andern gotisch, die anderen romantisch, dazu prunkvolle Schlösser und das Bergmuseum von Reinhold Messner“, sagt Roberta Agosti, Leiterin des Tourismusamtes Bozen. „Wir wollten den Besuchern die Gelegenheit schaffen, bei einer Wanderung oder Radl-Tour das mittelalterliche Leben ein wenig kennenzulernen.“ Für die Idee, sechs Burgen in drei Tagen für Urlauber kompakt erlebbar zu machen, hat sie mehrere Eigentümer, Stiftungen und Verwaltungen zusammengebracht - und auch den Messner. Der Name „Castelronda“ ist der Kulturronda der Südtiroler Marketing Gesellschaft und der berühmten Sella Ronda nachempfunden – eine Runde von Burg zu Burg eben.
Spektakuläre Ausblicke und mittelalterliches Lebensgefühl
Es öffnen sich für ein langes Wochenende die Tore der schönsten mittelalterlichen Burgen in und um Bozen: der Bilderburg Runkelstein am Eingang des Sarntals, jener von Schloss Maretsch mitten im städtischen Weinberg sowie des Messner Mountain Museums Firmian mit seiner Ausstellung zur Auseinandersetzung Mensch und Berg. In der näheren Umgebung warten der Ansitz Moos-Schulthaus mit seiner spätmittelalterlichen Wohnkultur im Überetsch, die Burg Hocheppan mit ihrem spektakulären Ausblick und nicht zuletzt die Trostburg oberhalb der Ortschaft Waidbruck im Eisacktal.
Etwa 15 Kilometer vor Bozen im südlichen Eisacktal gelegen, beheimatet die gut erhaltene Feste aus dem 12. Jahrhundert das Südtiroler Burgeninstitut. Die Nachkommen des berühmten Minnesängers Oswald von Wolkenstein bauten die Trostburg allmählich zum heutigen Kleinod aus. Heute trifft der Besucher auf bestens erhaltene und reich ausgestattete Säle. Wer sich für Burgengeschichte interessiert, wird mit den rund 100 ausgestellten Burgenmodellen, der geschnitzten gotischen Stube, dem einzigartigen Renaissancesaal und intakten Festungsanlagen reichlich für den schweißtreibenden Aufstieg entlohnt. Denn der mittelalterliche Rittersteig, der von Waidbruck zur Trostburg hochführt, hat es in sich: 20 steile Minuten führt er mit immer neuen imposanten Ausblicken auf die Burg bergan, und gibt einen Vorgeschmack auf die Lebensweise der alten Rittersleut’. Etwas bequemer, aber auch weniger romantisch, ist die verkehrsfreie, asphaltierte Straße die von Waidbruck aus zur Burg hochführt.
Auch für Kinder lohnt sich der Weg, denn die Trostburg ein herrlicher Tummelplatz. Und die Bäuerin Theres Gröber führt hier nicht nur durch die Burg, sondern auch die dazu gehörige Landwirtschaft. Schon seit ihrer Kindheit lebt die 68-Jährigen hier oben und kann allerlei Geschichten erzählen, während die Kinder sich um die Burg herumtrollen, mit den Fohlen auf der Weide spielen oder sich in Stall und Scheune umschauen.
Sichere Herbergen für die deutschen Kaiser
Während der Castelronda übernimmt der Historiker Dr. Daniel Mascher vom Vorstand des Burgeninstituts die Führungen durch die Trostburg und berichtet viel Lehrreiches über die Südtiroler Burgenwelt. „Kaum eine Region hat derart viele Burgen wie Südtirol: 800 Festungen, Schlösser und Ansitze von Adelsfamilien prägen vielerorts das Landschaftsbild. Im Hochmittelalter boten die Burgen den Deutschen Fürsten Schutz und Ruhe auf ihrem beschwerlichen Weg zur Kaiserkrönung nach Rom“, erzählt er. „Vor allem im 14. und 15. Jahrhundert, als der kleinere Adel sich entwickelte, entstanden dann zahlreiche kleine Schlösser und Ansitze.“ Die mittelalterlichen Burgen und Schlösser entstanden als sichere Sitze für adelige Familie, sicherten Wege und Bücken oder dienten als Gerichtssitze für Städte und Dörfer. Deshalb vereinten sie meist zwei Funktionen: Als trutzige Wehrsitze aber auch als repräsentative Wohngebäude. Meist lagen die Burgen auf schwer zugänglichen Felsen oder Anhöhen. Im Verlauf des 15 Jahrhunderts kam es durch die Entwicklung der Feuerwaffen und Kanonen zu einem Ende der Burgen als Wehrbauten. Die Oberschicht residierte fortan in Schlössern die nur mehr repräsentative Funktion hatte. Typisch für Südtirol: Zahlreiche Adelige bauten Burgen, die nicht allzu abgelegen waren, als Schlösser aus.
Wie zum Beispiel das gotische Jagd-Schloss Moos-Schulthaus in Städtchen Eppan an der Südtiroler Weinstraße. Es liegt im Ortsteil St. Michael nahe dem Gleifhügel oberhalb des Weilers Pigenó. Heute ist das Schloss als Kunst- und Volkskunde-Museum ein einzigartiger Ort um kulturgeschichtliche Gegensätze zu studieren: nach jahrhundertelanger bäuerlicher Nutzung sind hier zeitgenössische Kunstgegenstände inmitten profaner gotischer Kunst zu bewundern. Mitten in den Weinbergen Bozens liegt Schloss Maretsch, ebenfalls früher eine Burg. Mit einem gemütlich Spaziergang entlang den Talfer-Auen ist es bequem zu erreichen. Ein Konzert im Innenhof entführt die Besucher in die Welt der Klänge von Mittelalter und Renaissance. Eine Führung durch das Innerer des Schlosses enthüllt den Blick auf bestens erhaltene mittelalterliche Wohnräume.
Nur knapp zwei Kilometer weiter die Talfer hoch residiert eine weiteres mittelalterliches Juwel: Schloss Runkelstein, am Eingang zum Sarntal imposant auf einem Felsen gelegen. Über einige herausfordernde Kurven führen die letzten 200 Meter des Spazierwegs über die Zugbrücke in ein historisches Unikat. Denn Schloss Runkelstein trägt auch den Beinamen „Bilderburg“. In ihren rüstigen Mauern befindet sich der weltweit größte Zyklus an profanen Wandmalereien aus dem Mittelalter. „Mit der gemalten Geschichte rund um König Artus und seine Tafelrunde kann man Runkelstein mit Fug und Recht auch als Artusburg bezeichnen“, so Historiker Mascher. „Sie ist ein Beleg dafür, dass die Geschichten um den König aus Britannien im Mittealter auch zum historischen Allgemeingut in Südtirol gehört haben.“
Kinder spielen Ritter und Prinzessin
Der wohl spektakulärste Ausblick aller Südtiroler Burgen belohnt die Wanderer, die nach einem etwa 30-minütigen Anstieg vom Parkplatz aus Schloss Hocheppan erreichen. Hoch über Eppan auf steilen Felsenwänden ragt die gewaltige Burganlage stolz in den Himmel – mit einem Rundumblick von den Ötztaler Alpen bis zu den Dolmiten. Wer den „Burgenweg“ vom Eppaner Ortsteil Missian aus wählt, kann auch noch die Schlösser Boymont und Kolb für eine ausgedehnte Wanderung mitnehmen. Durch Weinberge und Obstwiesen führt der Weg auf den früheren Stammsitz der Grafen von Eppan. Während der Castelronda erwartet die Besucher ein mittelalterliches Gelage mit Grafen, Rittern, Handwerkern und Musikanten. Die „Comapgnia della Ginestra“ stellt eine adelige Familie mit ihren Dienstleuten dar und die Gruppe „Ulrich von Starkenberg“ repräsentiert das mittelalterliche Leben einer bürgerlichen Familie. In den historischen Zelten wird gehämmert und gewerkelt, an großen trögen bereiten Köche ihr Essen zu und auf dem Burganger führen Ritter Schaukämpfe und Scharmützel vor. Die Kinder der Besucher werden als Ritter und Prinzessin verkleidet und üben sich im Bogenschießen.
Auf Schloss Sigmundskron gibt Bergfex Reinhold Messner derweil persönliche Einblicke in sein Bergsteigerleben. Wann er sich denn entschlossen habe, Bergsteiger zu werden, möchte eine Fragerin wissen. „Das habe ich nicht irgendwann entschieden. Sondern das ist ganz einfach so in mein Leben gekommen. Im Alter von fünf Jahren habe ich mit meinen Eltern auf einer Alm geschlafen. Am nächsten Tag haben sie beschlossen, einen 3000er-Gipfel zu besteigen“, erzählt Reinhold Messner. „Da bin ich einfach mitgegangen. Und von da an hat mich das Bergsteigen nicht mehr losgelassen.“ Inzwischen hat der längst zur Legende gewordene Kletterer dem Bergsteigen in seinen fünf Museen – drei davon in Südtiroler Burgen wie Schloss Sigmundskron – großartige Denkmäler gesetzt.
Alle Burgen lassen sich auch außerhalb der Castelronda besuchen. Weitere Infos:
www.messner-mountain-museum.it
www.runkelstein.info
www.maretsch.info
www.hocheppan.com
http://www.burgeninstitut.com/trostburg_beschreibung.htm
http://www.burgeninstitut.com/moosschulthausbeschreibung.htm
Die Recherchen wurden unterstützt vom Tourismusamt der Stadt Bozen und dem Südtiroler Burgeninstitut.
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