Mein Name ist Franz, ich bin …

Mein Name ist Franz, ich bin …

27.11.2016, 12:12 Uhr
Beitrag von wize.life-Nutzer

Mein Name ist Franz, ich bin Alkoholiker ...

… das war der schwerste Satz meines Lebens. Erst als er gesprochen war, konnte ich aufhören.
Das war vor 35 Jahren. Dann kam die letzte Nacht, nach einem 20jährigen Martyrium. Ich versuche es zu schildern, wie es damals war.



Gedanken eines Trinkers



Heute ist die letzte Nacht vor meiner geplanten Kapitulation, es gleicht einer Hinrichtung, der ich selbst zugestimmt habe, denke ich. Ich hasse Ämter und Obrigkeiten, hasse Psychologen und die Gutmenschen der Beratungsstelle. Sie wollen mir einreden, dass ein Leben ohne Alkohol möglich ist - und noch mehr - es soll auch noch schön sein und erfüllt. Mit Gottes Hilfe ist vieles möglich, sagen sie. Ich kann das nicht glauben. 

Morgen soll also meine Trinkerkarriere zu Ende sein. Wie oft habe ich mir dieses imaginäre Ende schon schöngeredet - keinmal habe ich es geschafft. Warum soll es morgen anders sein, nur weil ich es versprochen habe? Nein. Nichts, gar nichts habe ich versprochen - und wenn doch - dann weiß ich es nicht mehr. 

Mit Gottes Hilfe schaffe ich es, haben sie gesagt.
 Mir geht es schlecht. Wo bist du, großer Gott, wo bist du jetzt? Irgendwo über mir, oder bist du etwa in mir? Ich sehe dich nicht, ich spüre dich nicht. Du sprichst nicht mit mir. Spürst du nicht den Schmerz, der mich fast zum Wahnsinn treibt. Du seiest der Schöpfer von allem. Sagen sie. Auch der von Alkoholikern, oder ist das Satans Werk? 
Du bist ein Feigling. Warum holst du mich nicht aus dieser Hölle auf Erden? Wieso hilfst du mir nicht, diese Scheißangst vor der Finsternis zu vertreiben? Du hast selber Angst vor dem Teufel Alkohol, stimmt´s?



In meiner Erinnerung ist der Nachthimmel immer schön und strahlend gewesen, entweder mit Sternen übersät oder von den Lichtern der Stadt erhellt. Heute ist es nur Nacht, sonst nichts. Nur finster und schwarz und unheimlich. Ich werde wahnsinnig vor Angst, mein Herz klopft nicht, es rast, ich habe Angst vor dem Hinlegen, die Luft wird immer dünner. 
Mir fehlt mein Lebenselixier. Die Welle auf der ich gleite heißt Alkohol, nur auf ihr bin ich glücklich. Wenn sie jetzt abflacht, nicht mehr da ist, versandet, dann bin ich auf Grund gelaufen. Oder gestrandet in einem fremden Land.

 Was soll aus mir werden? 
Ich will ein besseres Leben. Ein Leben ohne Angst. Ich will Anerkennung. Der Eintritt in dieses Leben heißt Abstinenz - für mich - die Normalos können weiter trinken. Das finde ich ungerecht. 
Aufhören ja, aber wie? 
Ich will die Antwort nicht hören – nicht diese.
 Es geht nur mit totaler Enthaltung, sagen sie. Die haben leicht reden, sie müssen ja nicht aufhören. Sie nennen sich Experten. Ist das nicht ein Widerspruch? Fachmann in Sachen Alkohol bin ja wohl ich, oder? 
Okay, ich gebe es zu, das ist Schwachsinn. 
Abstinenz bedeutet: Gar keinen Alkohol trinken – ein Leben lang! Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Mein Spruch war immer: 
Gar nicht will ich nicht - und - mäßig kann ich nicht! 

Ich tue jetzt einmal so, als ob. Ich halte mein Versprechen und gehe auf dieses verdammte Amt. Irgendetwas lässt mich hoffen, und weil ich es unbedingt wissen will, kann ich in dieser Nacht vielleicht doch noch schlafen ohne zu sterben.
 Meine Bedenken bleiben, denn mit dem Saufen aufzuhören, bedeutet auch: Gulasch ohne Bier. Wie soll das gehen? Egal, ich versuche es. 



© FranzFink

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78 Kommentare

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Ich kenne nur die andere Seite. Die hat mich aber eines gelehrt. Ich hab nicht die Kraft für zwei. Wenn alles reden und helfen wollen nicht hilft, bleibt nur der Rückzug, um den eigenen Hintern zu retten.
Überall Alkoholverstecke. Zuerst stirbt die Rationalitat, dann die Empathie. Die permanente Angst. Fährt er/sie wieder betrunken?
Mein erster Mann wurde von einem betrunkenem Autofahrer getötet.
Am Ende sitzt der Copilot beim Therapeuten, während der Pilot weiterfliegt.
Respekt allen, die es aushalten können und vor allem denen, die den Absprung geschafft haben und den Entzug ausgehalten haben.
  • 29.11.2016, 09:58 Uhr
  • 1
Hallo @Jane B.
Ich versuche dein Posting zu verstehen. Es liest sich so, als hättest du gleich zweimal durch einen Alkoholiker schweren Schaden genommen. Unfassbar.
Wenn du auf der anderen Seite bist, dann stehe ich sozusagen diametral gegenüber. Und trotzdem gebe ich dir Recht, wenn du sagst, du hast nicht Kraft für zwei. Es ist leider so, dass Alkoholiker diese Sanktionen spüren müssen. Allein die Androhung ist für sie kein Grund aufzuhören. Das ist für Angehörige schwer zu verstehen, aber es ist oft das einzige Mittel, um wenigstens einen der Betroffenen zu retten. Es gibt ganz wenige Partner, die es miteinander bis zum glücklichen Ende schaffen. (Siehe beim Willi - weiter unten in den Kommentaren).
Der Pilot sauft weiter, habe ich das richtig verstanden? Oder ist er nur ungenießbar geworden, weil er nicht mehr trinkt?
  • 29.11.2016, 12:21 Uhr
  • 0
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Als mein Vater das erste Mal mit dem Trinken aufhörte, kamen solche Sprüche beim Geburtstag : "Du trinkst nicht? Dann bist du doch kein richtiger Mann!" Ich wurde sehr wütend und drohte der Person mit Rausschmiss.
  • 29.11.2016, 05:46 Uhr
  • 1
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So einen Kampf kenne ich...allerdings auf einer anderen Ebene...Respekt und einfach viel Willen,ganz viel Positives in Deinem Leben....Die Zügel reichen Dir andere....reiten musst Du allein.Alles Liebe
  • 28.11.2016, 23:50 Uhr
  • 1
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Franz, meine Hochachtung für diese klaren Worte und ich wünsche dir die Kraft die du zum Durchhalten brauchst
  • 28.11.2016, 22:38 Uhr
  • 1
Danke
  • 28.11.2016, 23:22 Uhr
  • 0
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Meine absolute Hochachtung wize.life-Nutzer
  • 28.11.2016, 21:30 Uhr
  • 3
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Beeindruckend mutig geschrieben...
  • 28.11.2016, 19:03 Uhr
  • 2
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Der letzte Satz gefällt mir besonders, den kenn ich auch... "Egal, ich versuch's"... so hab ich das auch gesehen, als ich mir nicht vorstellen konnte, nie mehr Alkohol zu mir zu nehmen. Es war eine Chance und ich hab sie auch genutzt. Drei Kreuze, dass diese Scheißzeit vorbei ist!
Ich fand übrigens das Eingeständnis mir selbst gegenüber am Allerschwierigsten, dass ich Alkoholikerin bin. Anderen gegenüber, auch hier in aller Öffentlichkeit, macht mir das überhaupt nichts aus.
  • 28.11.2016, 18:07 Uhr
  • 8
Hallo Pia, ich hatte schon mal die Ehre, mit dir über dieses Thema zu diskutieren. Die Argumente sind die gleichen geblieben. Ich bemühe mich mein ganzes halbes Leben schon, meinen Mitmenschen zu erklären, was ein Alkoholiker ist, was in so einem Kopf vor sich geht … Bis jetzt ohne viel Erfolg, wenn ich sehe wie mit kranken Menschen umgegangen wird.
Das Phänomen des Selbsteingestehens beschreibst du so, wie es eben nur eine beschreiben kann, die weiß wovon sie spricht. Ich glaube, es ist die Angst vor der ganzen Tragweite dieses Entschlusses. So war es bei mir: Wahnsinn - ein Gulasch ohne Bier - der Gedanke war so verrückt, dass ich das beim besten Willen nicht glauben konnte. Und als dann dann zu allem Überdruss ein Blinder daherkam und von der Farbe sprach, bin ich erstmal sprachlos geworden. Es war so verrückt, dass ich gesagt habe: "Das will ich sehen, ich versuch´s.
Danke für deinen Kommentar
  • 28.11.2016, 18:28 Uhr
  • 5
Ja, ich erinnere mich gerne daran
Es IST nicht zu erklären (ich versuche es allerdings auch, aber nur, wenn mich jemand direkt fragt). Wo das Irrationale beginnt, hört die Möglichkeit zu erklären auf. Panikattacken zum Beispiel kann man auch niemandem wirklich erklären, oder auch wie es sich anfühlt, Kinder zu haben. Man kann, so denke ich, nur versuchen, für Toleranz zu werben, dafür, das Theoretische an der Sucht zu lernen. Wie man am besten einen Alkoholiker "fallenlässt", wenn er nicht begreift, dass er die Finger von dem Zeug lassen muss, sonst verliert er alles. Eine persönliche Bemerkung für diejenigen hier im Forum, die sich an dem Glauben erfreuen, dass sie eine besonders feine Beleidigung abgelassen haben, wenn sie sich über einen lustig machen: Es geht mir am Arsch vorbei! Was ich/wir geleistet haben, da könnt ihr nur von träumen!
Ich bin nicht stolz drauf, Alkoholikerin zu sein und auch nicht, die Abstinenz zu leben - ich bin aber einfach froh, diesen Schritt gewagt und wider alles Erwarten die Kraft dazu zu haben. Ich habe so viel gelernt in den 13 Jahren...über mich, die Menschen, und das Leben an sich. Und das finde ich sehr wertvoll.
  • 28.11.2016, 19:42 Uhr
  • 6
Du bist ja auch ein sehr wertvoller Mensch Pia. Du weißt auch, dass ich nichts, rein gar nichts auf Dich kommen lasse.

wize.life-Nutzer, meine Hochachtung! 35 Jahre durchzuhalten sind eine lange Zeit. Wieviel Mut und Glaube an sich selbst dazu gehört, kann man sich als Außenstehender nicht vorstellen. Denn gerade der Suchtfaktor Alkohol wird runtergespielt. Ich denke es mir, wenn vor einer Sportsendung die Bierwerbung im Fernsehen ist, wenn man an den Reklametafeln vorbeigeht wo die Schnaps- und Likörwerbung hängt. Dies alles ist eine Versuchung. Das so eine Zeit durchzuhalten stelle ich mir sehr schwer vor.
  • 28.11.2016, 22:00 Uhr
  • 4
Danke, Dagmar - das bist du auch!
  • 28.11.2016, 22:04 Uhr
  • 2
  • 28.11.2016, 22:07 Uhr
  • 2
Danke. Es stimmt schon, es gibt kaum eine Ecke, wo dich nicht eine Alk-Werbung anspringt, aber am schlimmsten war es damals (heute ist es mir egal), wenn mich die sogenannten besten Freunde zum Saufen verleiten wollten.
Ich habe lange gebraucht, bis ich kapiert habe, was in den Köpfen dieser Leute vorgeht. Dass ich in ihren Augen ein Verräter war, wollte ich nicht glauben, aber es ist so, dass die meisten Alkoholiker als Kompensationstrinker beginnen. Saufen macht alleine keinen Spass, später bist du alleine und saufst, weil du alleine bist. Sehr allein und es versteht dich auch keiner mehr.
  • 28.11.2016, 23:12 Uhr
  • 2
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Was hat das Amt mit aufhören zu tun ? geh zum Hausarzt lass dir eine
Überweisung geben oder liefere dich selbst ein , entlasse dich nach der
Entgiftung( ca. 4 Tage )nicht selbst mit dem Gedanke ich schaffe das ,
das schaffst du nicht , bleibe die ersten 3 Wochen und hänge eine
Therapie 12-16 Wochen noch dran . 80% werden rückfällig von denen
man es weis 15 % Dunkelziffer und 5 % die es schaffen ist eine
vage Vermutung . Gib nicht auf und wenn du 4x Therapie machst
es muss im Kopf ankommen und klick machen es macht aber auch
klick wenn du denkst du hast es geschafft und und versuchst es mit
einem Probe Bier da macht es auch klick und alles fängt von vorn
an . Der Anfang zählt ich drück dir die Daumen es lohnt sich
  • 28.11.2016, 17:31 Uhr
  • 3
ach eh ichs vergesse , verändere dein Umfeld und
Umgang geh zu den anonymen Alkoholikern , die
gibt es in jeder Stadt da findest du neue oder alte
Freunde die trocken bleiben wollen und kannst
andere beraten über die Erfahrungen die du gemacht hast .
  • 28.11.2016, 17:41 Uhr
  • 3
Ja danke für die gut gemeinte Hilfestellung. Lieber Ch.H., Du hast was überlesen. Ich bin zwar Alkoholiker, aber seit über dreißig Jahren trocken. Ich schreibe Geschichten über Menschen vom Rand, über Menschen die keine Lobby haben.
  • 28.11.2016, 18:00 Uhr
  • 6
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Respekt , für einmal durch die Hölle gehen....
weiterhin alles Gute !
  • 28.11.2016, 17:05 Uhr
  • 3
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Franz Männer die das schaffen ,haben unendlich viel in sich was sie selbst nicht wussten ! Ich hab mal in der Sucht gearbeitet aber ich konnte es nicht ertragen ,denn ich hatte auf der Arbeit Sucht und daheim ging es weiter ! Ich woog noch 47 kg vor lauter Sorgen !
  • 28.11.2016, 15:45 Uhr
  • 3
  • 28.11.2016, 17:06 Uhr
  • 2
Daumen hoch!
  • 28.11.2016, 17:15 Uhr
  • 2
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