Von Mensch zu Mensch: Krebs könnte doch übertragbar sein

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Können zahlreiche Krankheiten womöglich doch von Mensch zu Mensch übertragen werden? So die Theorie eines internationalen Forscherteams.

Bisher gilt: Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Herzleiden und Adipositas werden nicht durch Bakterien oder Viren ausgelöst und darum auch nicht auf andere Menschen übertragen. Doch jetzt glauben Forscher, dass diese Leiden womöglich doch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden - durch winzige Organismen im Körper.

Sollte sich die Hypothese des internationalen Forscherteams um den kanadischen Mikrobiologie-Professor Brett Finlay bestätigen, würde dies bisherige Annahmen fundamental über den Haufen werfen.

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So definiert etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs als „nicht-übertragbar“, da man davon ausgeht, dass sie durch eine Kombination aus genetischer Veranlagung, Lebensstil und Umweltfaktoren ausgelöst werden - und nicht von einem Menschen auf einen anderen übertragen werden.

Doch genau in diesem Punkt sind sich einige Wissenschaftler nicht mehr so sicher: In einer neuen Studie stellt das Team des "Humans & the Microbiome"-Programms des Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR), zu dem auch der deutsche Professor Thomas Bosch von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gehört, diese Annahme in Frage.

Übertragung durch Mikrobiom

Die Forscher führen Belege an, die ihrer Meinung nach dafür sprechen, dass viele als nicht-übertragbar eingestufte Krankheiten womöglich doch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden.

Und damit im weitesten Sinne ansteckend sind. Nicht durch eine Infektion wie etwa bei einer Grippe. Sondern über das Mikrobiom übertragen werden.

Dazu muss man wissen: Als Mikrobiom bezeichnet man all die Billionen Mikroorganismen, die es in unserem Körper gibt - auf der Haut, in den Organen. Meist sind es winzigste Bakterien, doch auch Pilze und Viren zählen zu diesen Mikroben.

Sie sind für die Gesundheit des Menschen enorm wichtig: Sie helfen bei der Verdauung, setzen Nährstoffe frei oder bauen Giftstoffe ab.

Mikroben spielen im Körper wichtige Rolle

„Kein Winkel unserer Biologie bleibt von ihnen unberührt“, so fasst etwa Ed Yong in seinem Mikrobiom-Buch „Winzige Gefährten“ die entscheidende Rolle des menschlichen Mikrobioms zusammen.

In allen Ecken unseres Körpers mischen demnach Mikroben mit. Im Guten wie im Schlechten.

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Möglicherweise ist die mikrobielle Besiedlung des menschlichen Körpers auch ganz zentral an der Übertragung von Krankheiten wie Adipositas, Herz- und Kreislaufleiden, Diabetes und Krebs beteiligt, so die Hypothese der Wissenschaftler, deren Forschungsarbeit jetzt im Wissenschaftsjournal "Science" erschienen ist.

Das würde bedeuten, dass wir die Gesundheit von uns nahestehenden Menschen beeinflussen, indem wir diese Bakterien - und damit die Krankheiten, bei denen sie eine entscheidende Rolle spielen - auf sie übertragen.

Darauf basiert Theorie der Forscher

"Wenn sich unsere Hypothese als richtig herausstellt, wird sie unsere Auffassung der öffentlichen Gesundheit völlig neu definieren", sagt Mikrobiologie-Professor Brett Finlay.

Foto-Quelle: PixabayEin Forscherteam untersucht, ob "nicht-übertragbare Krankheiten" möglicherweise doch über das Mikrobiom von Mensch zu Mensch weitergegeben werden.

Die Vermutung der Forscher basiert demnach auf drei unterschiedlichen Erkenntnissen, die sie in ihrer Theorie miteinander verknüpfen:

Verändertes Mikrobiom
1. So konnten sie zeigen, dass das Mikrobiom bei Menschen, die unter Adipositas, entzündlichen Darmerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Typ-2-Diabetes leiden, im Vergleich zum Mikrobiom gesunder Menschen „deutliche Veränderungen zeigt“.

Mikrobiom kann gesunden Körper krank machen
2. Außerdem fanden sie im Labor Belege dafür, dass ein derart verändertes Mikrobiom auch im gesunden Körper zu Krankheiten führen kann, wenn es auf diesen ursprünglich gesunden Organismus übertragen wird. Im Experiment übertrugen die Forscher etwa das Darm-Mikrobiom einer fettleibigen Maus auf ein gesundes Tier. In der Folge wurde es ebenfalls übergewichtig.

Mikrobiom kann übertragen werden
3. Zudem wiesen sie nach, dass ein Mikrobiom tatsächlich auf andere Organismen übertragen werden kann. So konnten die Forscher im Labor beobachten, dass sich das Mikrobiom von Süßwasserpolypen anglich, die einen gemeinsamen Lebensraum teilten. In der Folge passte sich auch ihre äußere Erscheinungsform an.

Von Mensch zu Mensch

„Wir konnten nachweisen, dass dabei die Mikroben direkt von einem Individuum zum anderen gelangen“, sagt Thomas Bosch, Mitautor der Studie.

Foto-Quelle: Christian Urban/Universität KielDer deutsche Professor Thomas Bosch von der Kieler Universität gehört zu dem internationalen Forscherteam, das die Studie jetzt im Fachmagazin "Science" veröffentlicht hat

Mehr noch: „Möglicherweise findet diese Übertragung des Mikrobioms auch beim menschlichen Zusammenleben statt, zum Beispiel durch intensive soziale Kontakte oder in gemeinsamen Wohnungen“, so der Kieler Professor.

Ehepartner tauschen Mikroben aus - auch Krankheiten?

So fanden die Forscher heraus, dass die Darm-Mikroben von Ehepartnern einander sehr ähnlich waren - während es größere Unterschiede gab zu entfernt lebenden Verwandten.

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"Wenn man diese Fakten zusammenfasst, legt das die Vermutung nahe, dass viele traditionell nicht als übertragbar eingestufte Krankheiten vielleicht doch übertragbar sind", sagt Brett Finlay.

Weitere Forschung vonnöten

Die Forscher geben zu: Ihre Hypothese ist gewagt. Doch was als ein Gedankenexperiment begann, habe durch Experimente im Labor unterfüttert werden können.

Allerdings seien viele der beteiligten Mechanismen bisher noch unbekannt.

"Wir wissen immer noch nicht, in welchen Fällen diese Form der Übertragung zunimmt, oder ob auch ein gesunder Zustand übertragen werden kann", sagt Mitautorin Maria Gloria Dominguez-Bello, Professorin an der Rutgers University in den USA. "Wir brauchen mehr Forschung, um die mikrobielle Übertragung und ihre Auswirkungen zu verstehen.“

Gestörtes Mikrobiom als Ursache von Krankheiten

In den kommenden Jahren sind daher weitere Studien geplant.

So müssten die potenziellen Übertragungswege näher erforscht werden, sagt der Kieler Professor Bosch.

Und: Als als mögliche Ursache von Krankheiten müssten Störungen im menschlichen Mikrobiom „viel stärker als bisher“ in Betracht gezogen werden.

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