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Der Traum vom „deutschen Davos“ oder: Eine Schiabfahrt zum Fürchten

Der Traum vom „deutschen Davos“ oder: Eine Schiabfahrt zum Fürchten

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Von wize.life-Nutzer - Freitag, 15.03.2013 - 10:35 Uhr

Der Tiefblick von den Spechtenköpfen auf die Kurstadt Bad Reichenhall war zum Fürchten. Es sah aus als genügte ein einziger falscher Schwung um auf dem Ziegeldach der ehrwürdigen Alten Saline zu landen. An jenem eiskalten Februartag anno 57 lagen wenig Schnee aber viele Steine auf der beinhart gefrorenen Piste. Mit meinen Vollhickory-Brettern schlitterte ich ziemlich hilflos entlang der wenig vertrauenserweckenden Fangzäune. Aber es kam noch schlimmer.

An der Ostseite der Spechtenköpfe verwandelte sich der Schnee in Blankeis. Aufatmen konnte ich erst am Bildstöckelhang weil im Wald wenigstens die Absturzgefahr vorbei war. Vorbei war es allerdings auch mit der spärlichen Schneeauflage. Den Rest der „Abfahrt“ stolperte ich mit den Schiern auf dem Buckel über den gefrorenen Waldboden zu Tal. Ein echter Schigenuss war die Predigtstuhlabfahrt wohl nie, auch wenn der harte Kern der Reichenhaller Schifahrer dies bis heute hartnäckig behauptet. Die Abfahrt war gefährlich. Bis zur endgültigen Sperrung Ende der 1980er Jahre stürzten auf ihr neun Schifahrer zu Tode.

Eine Schiabfahrt zum Fürchten.

In den 1930er Jahren fand auf dieser halsbrecherischen Route sogar ein Abfahrtsrennen statt. Der legendäre Lokalmatador Josef „Pewo“ Pertsch, stellte mit sechs Minuten und 42 Sekunden einen Streckenrekord auf, der aus nachvollziehbaren Gründen bis heute nicht mehr unterboten wurde. In der Nachkriegszeit startete man nur noch ab der Waldgrenze. Mit der Bayerischen Jugendmeisterschaften 1958 erlebte der Wintersportort Bad Reichenhall seinen Höhepunkt. Barbi Henneberger, die spätere Bronzemedailliengewinnerin von Squaw Valley siegte in der Abfahrt und Willy Bogner holte die Titel in Slalom und Riesentorlauf.

1959 gab es Überlegungen, auf den gesamten 1100 Höhenmetern die Deutsche Meisterschaft im Abfahrtslauf auszutragen. Die ehrgeizigen Pläne scheiterten am hochalpinen Gelände. Der „Erfinder“ der Predigtstuhlabfahrt, der Reichenhaller Hans Flatscher, war eben kein Rennfahrer sondern ein verwegener Bergsteiger gewesen.

Der Traum von einem „deutschen Davos“

Ein „deutsches Davos“ sei am Predigtstuhl entstanden schrieb im Jahr 1928 die Münchner Abendzeitung. Davon ist heute nicht mehr viel übrig geblieben. Der Schibetrieb ist schon lange eingestellt. Die Seilbahn und das 72-Bettenhotel rutschten vor Jahren in die Insolvenz. Wie es mit den neuen Investoren weitergeht ist noch unklar.

Es war ein weitblickender Visionär, Alois Seethaler Besitzer des „Grandhotel Axelmannstein“, der Mitte der 1920er Jahre die Idee einer Seilbahn auf den Predigtstuhl vorantrieb. Für zahlungskräftige Kurgäste sollte in 1614 m Höhe ein schneesicheres Wintersport-Refugium entstehen, das mit den Schweizer Nobelorten Davos und St. Moritz mithalten konnte. Eine AG wurde gegründet und mit dem Südtiroler Louis Zuegg fand man einen genialen Seilbahnkonstrukteur, der sein Handwerk als k. und k. Landsturm-Ingenieur beim Bau kriegswichtiger Seilbahnen an der Dolomitenfront des I. Weltkrieges gelernt hatte.

Ein Luxushotel auf 1614 m Höhe

Am 1. Juli 1928 ging die Predigtsstuhlbahn in Betrieb während das Berghotel erst am 6. Oktober feierlich eröffnet wurde, wobei sich „80 Gäste aus dem In- und Ausland am festlich mit Alpenblumen gezierten Tischen bei Polnischem Salat, Steinbutt, Roastbeef und Cremeschnitten vergnügten“, wie die örtliche Presse schrieb. Sogar ein eigens für dieses Ereignis komponierter Walzer „Mondnacht auf’m Predigtstuhl“ kam zur Aufführung.

Die Seilbahn auf den Predigtstuhl gilt als die älteste Großkabinenbahn der Welt. Sie ist noch im Originalzustand. Die 12eckigen Leichtmetallgondeln fahren noch heute auf dem 50 mm starkem Tragseil von 1928 das über drei elegante Stahlbetonstützen geführt wird.

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2 Kommentare

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Ich kenne den Predigtstuhl und die Abfahrtpiste oder die Reste davon durch eine eigene Wanderung und habe auch auf der Bergstation der Seilbahn etwas darüber gelesen. Ihren Artikel fand ich deshalb wirklich toll. Schön, dass es solche interessanten Inhalte hier (auch) gibt (neben dem vielen Schwachsinn). Da ich selbst gerne (wenn auch zu selten) in den Bergen bin, freue ich mich über die Möglichkeit, hier auf Gleichgesinnte zu treffen.
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Danke Herr Huber für den wunderbaren Bericht. Es geht wieder aufwärts mit "unserem Predax". Die neuen Einegtümer, die einheimische Wirtsfamilie Posch, sind schon fleißig am planen und sanieren
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