Dieser Beitrag ist kein Beitrag zur Religion des Islam, sondern verfolgt ausschließlich historisches Interesse. Ich bin mir der Diskrepanz zwischen Glauben und historischer Forschung bewusst. Vieles was wir über den Propheten zu wissen glauben, hält nicht einer historischen Überprüfung stand oder verliert sich im Dunkel der Geschichte. Auch eine Lebensbeschreibung über Jesus Christus wirft Fragen aufwerfen, z.B. die, warum das Neue Testament über Jesu Leben zwischen dem 12. und etwa 30. Lebensjahr schweigt. An Jesu Wunder dürfen Christen glauben oder sie versuchen zumindest die Wunder als Metapher zu begreifen o.ä. Wir können aber nicht erwarten, dass ein Historiker in einem wissenschaftlichen Werk von seinem religiösen Glauben erzählt. Das wäre zu viel verlangt. Aus dem Blickwinkel eines Historikers wäre es wohl vermessen zu sagen, wir kennen Zitate von Buddha, Jesus oder Mohammed. Alle "Zitate" wurden erst viele Jahre nach dem Ableben der Betroffenen aufgeschrieben. Übrigens stoßen wir auf ähnliche Probleme bei Sokrates, der kein einziges schriftliches Zeugnis hinterließ und trotzdem Bedeutung für das Abendland erlangte. Die Forschung hat seit längerem schon aus den Werken Platons das Sokratische und das Platonische gefiltert. Ich persönlich gehe fest davon aus, dass Buddha, Sokrates, Jesus und Mohammed historische Persönlichkeiten sind.
Es gibt eine sehr weite Spannbreite von Ansichten, die kaum weiter sein kann, als sie ist. Die einen sagen, wir wissen sehr viel über Mohammed, andere wie z.B. der Islamwissenschaftler Hans Jansen bezweifeln seine Historizität. Der britische Schriftsteller Tom Holland, der an den Universitäten von Cambridge und Oxford einen Bachelor in Geschichte erwarb, verfasste ein farbenreiches Porträt der Spätantike, »Mohammed, der Koran und das Entstehen des Arabischen Weltreiches.« Der »Einführung« wird ein Zitat von Salman Rushdie vorangestellt.
»Was die Evangelisten über das Leben Jesu mitteilen, ist vergleichsweise unzuverlässig. Im Unterschied dazu wissen wir vom Leben Mohammeds mehr oder weniger fast alles...«
In Hamed Abdel Samad's Abrechnung über den Propheten ("Mohamed , eine Abrechnung") präsentiert der Autor ein Kuriositätenkabinett von Ferndiagnosen: Allmachtsphantasien, Größenwahn, Paranoia, Verfolgungswahn, Kritikunfähigkeit und Zwangsstörungen (Pos.151) Starker Tobak. Wenn wir wirklich alles über Mohammed wüssten, dann wüssten wir, ob Hamed Abdel- Samad von der Wahrheit spricht oder sich in diesen Ferndiagnosen verstiegen hat. Da Herr Abdel-Samad sein Buch "Mohamed" im Untertitel als eine "Abrechnung" bezeichnet, darf ich mir das Recht nehmen, die Wissenschaftlichkeit seiner Biographie (?) anzuzweifeln. Kein ernstzunehmender Islam - oder Politikwissenschaftler würde eine Biographie mit dem Untertitel "Eine Abrechnung" vorlegen. Damit würde sich ein Fachwissenschaftler selbst disqualifizieren und Abdel-Samad hat eben dieses getan. Abdel-Samad gewährt einen kleinen Einblick in Autoren, die die Historizität Mohameds anzweifeln(Pos.375) oder andere umstrittene Theorien über die frühislamische Zeit entworfen haben. So bezeichnete der Ungar Ignaz Goldziher im späten 19. Jahrhundert die Hadithe als pure Fälschung (heute trennen wir sie von den echten und unechten). Und da gibt es die Theorie von Michael Cook und Patricia Crone, die den Islam in Palästina entstehen lassen (Hagarism, The Making of the Islamic World, Cambridge 1977) oder die Theorien des Syrologen Christoph Luxenberg und des Theologen Karl-Heinz Ohlig, die behaupten, der Islam sei ursprünglich mal eine arabisch christliche Sekte gewesen (Pos.391) und Mohammeds Namensnennung im Felsendom beziehe sich auf Jesus (Ohlig), "Mohammed" sei dort als der Titel "der Gepriesene zu verstehen. Ohlig ist auch der Meinung, der Umayyaden-Kalif Abd al-Malik sei zur Zeit der Erbauung des Felsendoms Christ gewesen. (Pos. 404). Diese Theorien stellen Außenseitertheorien dar, die von vielen Islamwissenschaftlern nicht ernst genommen werden. Abdel-Samad erwähnt, »auch der Islam-Theologe Sven Kalisch äußerte sich zumindest skeptisch zur Existenz Mohameds als historische Person, veröffentlichte aber selbst keine Studien dazu.« ( Pos. 392). Diese Aussage ist kaum zu gebrauchen, weil die Quellenenangabe fehlt. Außerdem, und das kommt noch erschwerend hinzu, ist Sven Kalisch durch das nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium aufgrund eben dieser umstrittenen Thesen über die Existenz des Religionsstifters im Jahre 2008 von seinem Amt für die Lehrerausbildung enthoben worden. Das Abdel-Samad verschweigt das. Keine Ahnung warum. Ich kann nur vermuten, es steckt eine Absicht dahinter, und es gehört zu seinem Konzept, seine eigenen Konstrukte über Mohammed zu erläutern und anderes wegzulassen, was zum Tenor seines Buches nicht passt. Vielleicht ist dem Autor das Fingerspitzengefühl abhanden gekommen, wenn er auf umstrittene Autoren eingeht, aber den Islamwissenschaftler Hans Jansen nicht erwähnt, wenn es um die Historizität des Propheten geht.
Der niederländische Arabist und Islamwissenschaftler Hans Jansen hat sich dagegen ernsthaft mit der Frage nach der Historizität Mohammeds auseinandergesetzt und Mohammeds erste Biografie von Ibn Ishāq (704-768 oder 769) dahingehend untersucht. Man muss nicht Jansens Meinung vertreten, aber es war sein gutes Recht, dieses Thema wissenschaftlich aufzuarbeiten, selbst dann, wenn er zu solch einem Ergebnis kommt. Aber was soll man damit anfangen, wenn Hamed Abdel-Samad Mohammed mit Hitler vergleicht?
Tom Holland stellt in seinem Werk zur Spätantike (s.o.) fest, je größer der zeitliche Abstand zum Propheten wurde, desto ausführlicher geriet seine Biografie (Holland, Seite 36). Mit der Zeit entstanden Anekdoten, einzelnen Sätze, die aus dem Munde des Propheten gekommen sein sollen. Dann aber stellten Exegeten fest, diese sog. Hadithe müsse man aufteilen in echte und unechte. So heißt es über den heute noch viel gerühmten Gelehrten al-Bukhari (810-870), er habe »600000 angebliche Worte des Propheten gesammelt und alle bis auf 7225 für unecht erklärt.« (Holland, Seite 46) . Diese Zahlen machen deutlich, wie umfangreich man hier bemüht war, Mohammeds Leben mit Anekdoten und Sprüchen zu bereichern. Der Orientalist und Kenner des islamischen Rechts Joseph Schacht (1902-1969), verfasste 1950 eine Studie zur Entstehung der Hadithe und schrieb darin:
»Wir müssen und von der Annahme verabschieden, es habe ursprünglich einen authentischen Kernbestand an Information gegeben, der direkt auf die Zeit des Propheten zurückgeht« (in Holland, Seite 47, Joseph Schacht: The Origins of Muhammadan Jurisprudence, Oxford 1950).
Interessant sind z.B. Tom Holland's Ausführungen über Mohammeds Schlacht von Badr. Die Biografin Karen Armstrong schildert die Schlacht nach den schriftlichen Quellen, deren Glaubwürdigkeit Tom Holland anzweifelt. Die Erscheinung der Engel, die am Ende der Schlacht Mohammed zu Hilfe eilen, deutet Armstrong als Massenhalluzination, wie sie auch bei christlichen Kreuzfahrern vorkamen. (Armstrong, Muhammad, Seite 241). Aber was soll man dazu sagen, wenn Holland über diesen Eingriff aus der ersten Sira des Propheten nacherzählt, die Engel »schwangen ihre Feuerschwerter und schlugen den Quraishiten reihenweise die Köpfe ab.« Holland zieht Vergleiche zum Epos der Ilias, in der Götter in den Krieg gegen Troja eingreifen.
»Warum sollten wir annehmen, dass die Darstellung vom ersten großen Sieg des Propheten authentischer ist als die Sage von der Belagerung Trojas?« (Holland, Seite 50)
Nach Ibn Ishāq' würgte der Erzengel Mohammed, in dem er ihm ein Tuch vor dem Mund hielt und ihm befahl, es zu lesen. Nach dem dritten Würgen las er endlich. Es waren die Verse, die in den Koran als Sure 96 1-5 einging. Abdel-Samad sagt ganz richtig, das war die Geburtsstunde des Islams, aber er behauptet auch, Mohammed habe aus der Not eine Tugend gemacht und vermutet den Ausbruch einer psychischen Erkrankung oder eine Identitätskrise, die durch Spekulationen über seine Herkunft ausgelöst wurde. (Pos.715). Wir könnten weiter spekulieren und sagen, die Jungfrau Maria litt an krankhaften Halluzinationen, als ihr der Erzengel erschien und die Geburt des Heilands ankündigte. Das würde aber nichts bringen. Religionsgeschichtlich interessant ist nur, dass der Erzengel Gabriel im Islam und im Christentum ((Luk 1,26–33)) den ersten Impuls gab.
Viel schlimmer ist, dass Hamed Abdel-Samad dem IS in die Hände spielt, in dem er behauptet, die Geschichte Mohammeds wiederhole sich heute in der Geschichte der Terrororganisation des sog. Islamischen Staates (IS). Abdel-Samad behauptet, die Gemeindeordnung der eroberten syrischen Stadt Rakka gleicht Gemeindeordnung wie vor 1400 Jahren in Medina, die Körperstrafen seien identisch. In Mossul und in den kurdischen Gebieten gingen die IS-Terroristen mit Christen und Jesiden genauso um wie Mohammed mit den Juden von Medina (vgl.Pos.1081).
Die Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong schreibt:
„Muhammad war zum Führer einer Stammesgruppe geworden, die nicht durch Blutsverwandtschaft, sondern durch eine gemeinsame Ideologie verbunden war, was für die arabische Gesellschaft eine erstaunliche Erneuerung bedeutete. Niemand wurde gezwungen, zur Religion des Koran überzutreten. aber Muslime, Heiden und Juden gehörten alle der einen „umma“(Gemeinschaft) an, durften sich nicht angreifen und hatten geschworen, sich gegenseitig zu beschützten“ (Karen Armstrong, Kleine Geschichte des Islam, S. 28).
Was hat das mit dem sog Islamischen Staat zu tun? Nichts.
Die Koranforscherin Angelika Neuwirth, sagt in einem Interview ganz klar, was der IS betreibt, ist ein Missbrauch des Islam und verweist auf die frühislamische Sekte der Charidschiten aus dem 7. Jahrhundert, »die mit ähnlich triumphalen Gestus roheste Gewalt anwendete. Sie hat mit extremer Grausamkeit alle nicht zur eigenen Gruppe gehörenden Muslime systematisch verfolgt.«
Hamed Abdel-Samad katapultiert sich nun gänzlich in unseriöses Pflaster, wenn er Mohammeds Umgang mit den Juden »in mancher Hinsicht und in kleinerem Maßstab mit dem Holocaust« (Pos.2383) vergleicht.
Viele unkritische Leser sind auf die Abrechnung hereingefallen. Den historischen Mohammed haben sie in dem Buch garantiert nicht gefunden. Das Buch ist angefüllt mit Sex &Crime und hat alles, was ein Bestseller braucht. Ich möchte es dem Autor nicht unterstellen und er wollte es sicher nicht, das es so ist: aber vielleicht kommt er ins Grübeln, weil sein Mohammed-Buch Islamhassern und Rechtspopulisten in die Hände spielt.
Hamed Abdel-Samad: Eine Abrechnung, München, 2015, e-book
Karen Armstrong: Muhammad, Religionsstifter und Staatsmann, München 1993
Karen Armstrong: Kleine Geschichte des Islam, Berlin, 2001
Tom Holland: Mohammed, der Koran und die Entstehung des arabischen Weltreichs, 2012, 2017,Stuttgart
Hans Jansen: Mohammed, München 2008
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