Unfallstudie der Allianz: Gefährlicher als Alkohol am Steuer? – Ablenkung!

Unfallstudie der Allianz: Gefährlicher als Alkohol am Steuer? – Ablenkung!

Wolfgang Stegers
02.12.2016, 13:37 Uhr
Beitrag von Wolfgang Stegers

Na, das ist mal eine gute Meldung für uns ältere Fahrer, ein Mal nicht wieder hören zu müssen, wir Senioren können unser Fahrzeug nicht beherrschen, sind im Verkehr überfordert, sollten unseren Führerschein gleich abgeben oder alljährlich erneuern müssen. Nein, laut der aktuellen Allianz Sicherheitsstudie, die in diesen Tagen in München vorgestellt wurde, wird den „Best Agern“ ein gutes Zeugnis ausgestellt. Denn sie sind weit weniger von jener Unfallursache betroffen, die rasant um sich greift und sich „Ablenkung am Steuer“ nennt.


Ablenken und weglenken

Sicherheitsexperten, Polizei und Versicherer sind alarmiert. Obwohl in Deutschland als eigener Tatbestand bei der Unfallaufnahme noch nicht erfasst (anders Österreich), so erhöhen die Benutzung von Mobiltelefon, Navi, Radio sowie Einstellungen beim Fahren im Auto das Unfallrisiko dramatisch. Nach Expertenmeinung ist jeder zehnte Unfall mit Getöteten im Straßenverkehr auf Ablenkung zurückzuführen. Ablenkung im doppelten Sinne: sich für anderes interessieren und beim Autofahren „ab-, weglenken“. Von den 3500 Toten auf deutschen Straßen starben 256 weil einer der Beteiligten alkoholisiert war. Deutlich mehr Menschen aber büßten ihr Leben, weil es durch Ablenkung zum Unfall kam. 350 Tote sind zu beklagen. Zehn Prozent aller Getöteten im Straßenverkehr!

Wenn also Ablenkung am Steuer gefährlicher als Alkohol ist, dann sind die Gründe dafür so offensichtlich wie tragisch. Jeder zweite Autofahrer hat schon während der Fahrt telefoniert. Fast zwei Drittel (74 %) der befragten Fahrer fühlt sich durch die Technik im eigenen Auto abgelenkt. Und: Moderne Technik überfordert die Fahrer.

Ablenkung? Aber ich doch nicht!

Das will natürlich so gut wie keiner wirklich zugeben. Aber nein doch, ich nicht! Dabei haben wir alle doch schon beobachtet, wie der Vorausfahrende plötzlich langsamer wird, seine Spur nicht exakt einhält, plötzlich bremst, nicht blinkt oder sonstige unerwartete Manöver vollzieht. Beim Überholen enttarnt ihn der Blick nach rechts sofort. Er führt Gespräche mit dem Smartphone am Ohr oder schaut immer wieder aufs Display. Liest aufploppende Meldungen oder schreibt Antworten.

Aus der Sicht des Telefonierenden ist doch alles halb so wild. Die Straße frei, die Fahrt eher einschläfernd. Die subjektive Unterforderung verlangt nach Abwechslung. Die Konzentration aufs Fahren sinkt dramatisch. Wenn dann das Telefon bimmelt oder mit forderndem Signalton Whatsapp die Neugier weckt, wird Autofahren hintenan gestellt.

Multitasking? Vielleicht beim Fenster putzen und Radio hören

Ich bin doch so gut drauf, Multitasking ist kein Problem für mich. Das mag vielleicht fürs Putzen beim Radiohören (oder umgekehrt) noch gelten, aber ihm Straßenverkehr mit Tempo 60, vielleicht 100? Sicher nicht. Weiß doch jeder, dass bei kniffligen Einparkmanövern, die dröhnenden Beats aus den Basslautsprechern schon mehr als hinderlich sind. Und aus vor-digitalen, also den alten Zeiten mit „nur“ Radio im Auto, berichten uns schon damalige Forschungen der Bundesanstalt für Verkehrswesen, dass laute Rockmusik die Fahrweise nicht positiv beeinflusst, Klassik zu Gelassenheit am Steuer führt und Wortbeiträge auf langen Strecken als angenehm empfunden werden.

Es ist nicht nur die Technik im Auto, die zu Ablenkungen führt. Quengelnde Kinder auf den Rücksitzen können es genau so sein, wie unruhige Vierbeiner. Auf amerikanischen Highways zur Rushhour scheint es total normal zu sein, coffee to go zu trinken, das Makeup zu erneuern, sich zu rasieren oder die Zeitung zu lesen. Der Unterschied zur modernen Technik ist vor allem der, sie fordert unsere Aufmerksamkeit, macht sich bemerkbar, klingelt immer wieder, ruft sich in Erinnerung, bettelt unangenehm.

Muss die virtuelle Welt ins Automobil?

Es ist ja nicht so, dass Techniker um diese Gefahren nicht wüssten. Auch fürchten Automobilhersteller den Gesetzgeber mit seinen Verboten, wenn sie zu komplizierte, nur schwer beherrschbare Kommunikationstechnik im Fahrzeug anbieten.

Eine Auswahl: Freisprechanlagen, Sprachbedienung, Vorlesefunktionen, Gestensteuerung und Blickfokussierung auf der einen Seite und Assistenzsysteme die vor dem Verlassen der Spur warnen, Kameras, die nach hinten schauen und das Umfeld beobachten, die den toten Winkel im Rückspiegel einsehen, Systeme, die den Abstand regeln, die Geschwindigkeit regeln, die Bremsung steuern und Schleudern verhindern, die dem Fahrer wichtige Informationen in der Windschutzscheibe anzeigen.

Wenn Copiloten den Fahrer in falsche Sicherheit wiegen

All diese elektronischen Copiloten erleichtern das Fahren und schläfern die Fahrer gleichzeitig ein. Diese wiegen sich oftmals in falscher Sicherheit. Mit der Folge, zu glauben, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen zu können.

Ja, und warum sind am Ende älterer Autofahrer von diesem erschreckenden Trend weniger betroffen? Nun, ganz einfach: Sie lassen sich deutlich weniger ablenken. Unsere Erfahrung lehrt uns, sich voll und ganz auf den Verkehr zu konzentrieren. Wir mögen zwar vielleicht nicht mehr so blitzschnell reagieren können, auch hat das Sehvermögen nachgelassen und für das schnelle Erfassen komplexer Situationen müssen wir uns stärker konzentrieren, aber unsere Fahrroutine wirkt ausgleichend. Außerdem sind wir so schlau, nachts bei Regen nicht zu fahren. Warum sich unnötigem Risiko aussetzen oder sich selbst überschätzen?

PS Ach ja, das Fazit und die Empfehlungen der Experten und Verfasser der Studie fällt am Ende doch eher resignierend aus. So fordert die Versicherung den Notbremsassistenten im Auto, der, wenn schon der Unfall nicht zu vermeiden ist, doch die Schwere und damit die Schadenssumme mindert. Außerdem sollte „Ablenkung am Steuer“ gesellschaftlich und im Bewusstsein der Autofahrer so geächtet werden wie Alkohol am Steuer. Denn was früher eher ein Kavaliersdelikt war, gilt heute als absolut verwerflich.

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5 Kommentare

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Wolfgang Stegers
Allein Verbote, höhere Strafen - ob die reichen? Ja, es stimmt, Punkte in Flensburg beschäftigen einen mehr, als 200 Euro Bußgeld.
  • 09.12.2016, 13:55 Uhr
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Es ist traurig, dass alles reglementiert werden muss, weil zu vielen Verkehrsteilnehmern offensichtlich der gesunde Menschenverstand abhanden gekommen ist, um mögliche Gefahren durch Handynutzung einschätzen zu können.
Dieses wäre eine sinnvolle und gute Alternative:
http://www.auto-service.de/news/7933...kieren.html
  • 07.12.2016, 19:23 Uhr
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Immer diese regelmässigen Schlagzeilen, als wäre das was aussergewöhnliches.
Wer soll es denn vebieten`? In der Politik hören die wenigsten zu weil sie die ganze Zeit am Handy umfum, genauso in den meisten Firmen,- trotz Handyverbot, telefonieren und tüteln selbst die Vorgesetzten mit den privaten Hanys rum.
Ich sehe es jeden Tag und kann nur den Kopf schütteln, wie viele ihr Leben von einem Smartphone etc.abhängig machen
  • 07.12.2016, 18:40 Uhr
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leider sind die strafen dafür zu gering. würde besser sein wenn man denen den Führerschein entzieht, dann haben sie mehr zeit für das handy
  • 02.12.2016, 18:12 Uhr
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Alexander Schiechel
  • 02.12.2016, 14:12 Uhr
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