Was unterscheidet eigentlich die Intoleranz eines fundamentalistischen Religiösen im Islam, Christentum, Judentum oder Buddhismus von der eines säkularen Humanisten, der alles Religiöse ablehnt? Bisweilen sehr wenig. Ja manches reicht sogar an Intoleranz genauso in die vom Humanismus geheiligten „Privatsphäre“ hinein und übt genauso einen Zwang aus - nur diesmal eben auf Gläubige aus, wie er sich verbittet, mit religiösen Symbolen belästigt zu werden. Das fängt beim Kreuz an und hört beim Kopftuch auf.
Die Debatten darum kennen wir seit Jahrzehnten - und glaubende Menschen gelten einem säkularen Menschen per se als dumm, rückständig, hinterwäldlerisch oder gar gewalttätig. Während der Humanismus per se ohne Hinterfragen als fortschrittlich, aufgeklärt, klug und friedlich gilt - und all das alles nur, weil der Mensch im Mittelpunkt des Universums steht und die Religion entweder dazu nicht gebraucht wird oder aber, als einer der großen Hoffnungen des 19. Jahrhundert irgendwie sich selbst in Luft auflösen würde, wenn der Mensch nur edel, hilfreich und gut werden würde. In diesem Sinne erwartet der Säkulare die Religionslosigkeit des Menschen wie der Christ den Messias und der Muslim den Mahdi. Solche messianische Bewegungen des Humanismus hatten wir dann in den Ideologien des 20. Jahrhunderts mit den entsprechenden Folgen - ganz ohne Religion.
Dabei werden bei genauerem Hinsehen auch die Motive offensichtlicher. Liest man heute so manche Beiträge - auch hier auf Wize.life - zum Thema Religion und Religionslosigkeit - es braucht nicht einmal mehr die „Gewaltproblematik“ zu sein, die leichtfertig und reflexhaft jeder Religion unterstellt wird, dann spürt man eher die Entlastungstendenzen einer Gesellschaft, die schlicht keine Lust hat, sich mit dem Thema „Religion“ auch noch zu befassen. Es geht vielen so wie Schülern ab einer Jahrgangsstufe, die sagen: Och nö, zu Mathe, Deutsch, Biologie auch noch Reli? Die Freistunde, die sich bietet, nehmen wir gerne. Mathe, Deutsch, Biologie kann man nicht abwählen, Religion schon. Zugleich nimmt man die Lust zur Religion wiederum anderen übel, was sie gleich zu Heuchlern, Fundamentalisten, bigotten Zeitgenossen macht. Und so haftet der Religionsdebatte in unserem Land und den vielen Beiträgen auch bei Menschen, die es besser wissen könnten z.B. innerhalb der Philosophie oder der Kulturwissenschaften, eine bemerkenswerte Unkenntnis, und aus dieser, eine noch bemerkenswertere Denkfaulheit, an. Da schwadroniert einer seit Jahren im Netz über den Gottesbegriff, als hätte ihn sein frischer Humanismus gerade selbst erfunden und als gäbe es alternative Gedanken nicht schon seit der Antike im Orient und Okzident. Als wären Marx und Feuerbach die einzigen gewesen seit der Aufklärung, die dazu etwas zu sagen gehabt hätten und wären unhinterfragbar.
Aber nein, die allgegenwärtige Projektionstheorie von Feuerbach bis Freud taugt heute nicht mehr als Realitätsbeschreibung, in einer Zeit, in der wir von der Philosophie bis zu den Literaturwissenschaften, von der modernen Physik bis zur Neurobiologie neu verhandeln, was Fiktion in der Faktizität ist und was Fakt in der Fiktion ist und inwiefern Fiktion und Faktizität Realität konstruiert, dekonstruiert und konstituiert. Das sind komplexe Operationen, die längst die Religion mit einbeziehen. Nur Religionssäkulare leben noch in einer Art eigener Realitätsblase, die künstliche Unterscheidungen treffen wie zu Zeiten Descartes, und ontologischen Wolken hinterherträumen. Schon der mediale Alltag eines normalen Bürgers sieht anders aus. Erst recht der eines Glaubende, der die Bibel anders liest als im Mittelalter und sich auf den Weg zur Arbeit macht bspw. in ein Ingenieursbüro und damit sehr gut zurechtkommt und nicht etwa unter dem Stuhl seines Chef eine Bombe zündet, weil er angeblich nicht mit dessen Weltbild zurande kommt.
Es sind Verzerrungen entstanden in puncto Religion und auch in der öffentlichen Diskussion, die auch durchaus gewollt waren, weil die moderne Welt ohnehin schon komplex geworden ist - und mit einer Religionssphäre sie womöglich für die, die auf Komplexität keine Lust haben, noch komplexer würde. Schon der Dreisatz überfordert manchen Entlastungssäkularen, was soll da noch die tiefere Kenntnis und die Reflexion der Religion. Also weg damit.
So wie der Künstler Jonathan Mese, der gestern in der Kultursendung „Aspekte“ schnell mal alle Religion durch „seine“ (wohlgemerkt!) Kunst ersetzen will und sich aber flux anlässlich der 500 Jahre Reformation schnell des Titels der 95 Thesen Martin Luthers bediente. Es ging um den symbolischen Akt des Thesenanschlags, nicht um den Inhalt der Thesen, die er wahrscheinlich auch nicht wahrgenommen, geschweige denn reflektiert hätte. Er machte beim Kurzinterview einen sehr wirren Eindruck in seinem Künstlerrausch. Für mich schon wieder symptomatisch für unsere Zeit, wenn es um Weltdeutung und um das Thema Religion geht. Der säkulare Humanismus, der dort zelebriert wird, ist auch nichts anderes als Opium für das Volk! Nur so bekifft ist das Volk auch wiederum nicht, dass sie einem Ersatzpropheten Folge leisten würde, der einer der Vätergestalten aus Monty Pythons "Leben des Bryan" auffällig glich.
(c)Thomas Bernhard
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