In einem anderen Land
Als ich sah, wie die Mülltonnen nicht nur von außen, sondern auch von innen nach jeder Leerung gereinigt wurden: keimfrei, wie meine Nachbarn sagten, was mich daran erinnerte, dass der Gauleiter Josef Bürckel seinem Führer gemeldet hatte sein Gau, die Westmark sei judenfrei, da wußte ich, ich war da in dem anderen Land, in der Pfalz. Et riech no Kristallnaach…
Und als mich der Schulleiter fragte, wo ich denn gedient hätte und ich ihm erklärte, dass ich nicht nur den Militärdienst, sondern auch den Ersatzdienst verweigert hätte und er mir erläuterte heutzutage käme die rote Gefahr nicht von außen, sondern von innen, von den Kommunisten und Jusos, da erkannte ich, ich war angekommen in dem anderen Land, in der Pfalz, in der Westmark. Et riech no Kristallnaach…
Und als mir bei einem Kriegerdenkmal, wo sich die Namen der Gefallenen häuften je länger der Krieg dauerte, als da ein alter Winzer meinte, die Umsiedlung der pfälzischen Juden in Arbeitslager sei notwendig gewesen, nur man hätte sie nicht umzubringen brauchen, da wußte ich, es ist noch immer da, das andere Land, die Pfalz, die Westmark. Et riech no Kristallnaach…
Und als ich meinen Schülern einen Film über Auschwitz zeigte und die Verbrechen unserer Vorfahren erläuterte und sich die Großväter und Urgroßväter meiner Schüler beim Rektor beschwerten und er mich zur Rede stellte, ob ich auch den Widerstand und das Attentat von Stauffenberg zur Geltung bringe und ich nicht mehr in Sozialkunde im dritten Lehrjahr, in dem der Zweite Weltkrieg behandelt wird, eingesetzt wurde, da erkannte ich, ich war mitten drin in dem anderen Land, in der Pfalz, in der Westmark. Et riech no Kristallnaach…
Und als ich bei den Hobby-Schriftstellern, den Literaten in Karlsruhe, meinen Text Totentanz über die Verbrechen deutscher Soldaten im Krieg gegen Rußland vorlas, mir eine ostpreußische Gräfin ihre Vertreibung aus ihrer Heimat vorhielt und mir ein junger Neo-Nazi sagte, mein Essay passe nicht mehr in die heutige Zeit, da wußte ich, das andere Land, die Westmark, lebt noch in einigen Köpfen weiter. Et riech no Kristallnaach…
Und wenn der Bundesnachrichtendienst als Büttel der amerikanischen National Security Agency fungiert und nicht nur Bundesbürger massenhaft ausspioniert, sondern auch befreundete Nationen und deren Institutionen abhört, dann leben die verantwortlichen Politiker mit Angela Merkel an der Spitze in einem anderen Land, aber nicht mehr in Deutschland. Is täglich Kristallnaach…
Und so lange einem Freiheitskämpfer wie Edward Snowden aus Angst vor den USA in Deutschland kein Asyl gewährt wird und die Steuerung der amerikanischen Kriegsdrohnen von Ramstein aus ignoriert wird, so lange ist dieses Deutschland nicht mein Land. Et riech no Kristallnaach…
Da, wo Darwin für alles herhält,
ob man Menschen vertreibt oder quält, da,
wo hinter Macht Geld ist, wo stark sein die Welt ist,
von Kuschen und Strammstehen entstellt.
Wo man Hymnen auf dem Kamm sogar bläst
in barbarischer Gier nach Profit,
"Hosianna" und "Kreuzigt ihn!" ruft,
wenn man irgendeinen Vorteil drin sieht,
ist täglich Kristallnacht.
(BAP)
Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 146-1970-083-44 / Friedrich, H. / CC-BY-SA 3.0
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