Wie haben wir gelästert über unsere Altvorderen mit ihren Nagelschuhen, ihren dicken Hanfseilen und den schlapprigen Knickerbockerhosen. Wie lächerlich fanden wir die theatralisch gestellten „Kletterkünste“ des alten Luis Trenker. Mit diesen Gruftis wollten wir nichts zu tun haben. Wir — die jungen Wilden der 50er Jahre waren längst in den Diretissimas berühmter Nordwände unterwegs im obersten 6.Schwierigkeitsgrad mit viel Eisen und technischen Hilfsmitteln.
Heute turnt eine neue Generation von Extremkletterern mit unglaublicher Artistik durch weit ausladende Überhänge im 10. und 11. Grad. Für unsere rustikale Vertikalmaloche der 50er Jahre haben sie nur ein mitleidiges Lächeln übrig. Die Erfahrung ergrauter Experten benötigen sie genau so wenig wie wir in unserer Jugend ihrer bedurften.
Fit, aktiv und unternehmungslustig auch im Alter.
Ausnahmeerscheinungen wie der 75jährige Thomas, der Vater der weltberühmten Huababuam, klettern heute noch durch die 1400 m hohe Granitwand des Piz Badile und in den klassischen 6er-Touren des Wilden Kaisers in Tirol trifft man Seniorenseilschaften die zusammen mehr als 140 Jahre auf dem Buckel haben. Aber was vor 60 Jahren noch anerkannte sportliche Leistung gewesen wäre gilt heute bestenfalls als „Plaisier-Tour“ für Anfänger. Da sollte man sich als Senior keine Illusionen machen.
Doch wer das Nachlassen körperlicher Leistungsfähigkeit mit heiterer Gelassenheit ertragen kann, dem eröffnet sich im Alter ein weites Feld alpinistischer Betätigung. Allerdings — wenn sich infolge arthritischer Gelenke das freie Klettern von selbst verbietet, einen 4-Stunden-Aufstieg mit Fellen die lädierten Knie nicht mehr mitmachen oder wenn mit dem steifen Kreuz kein lockerer Skatingschritt mehr geht — dann würde ich einfach aufhören. Auf Klettersteige, Helikopterskiing oder Schuppenschi auszuweichen, käme für mich nicht in Frage.
Ein besonderer Gräuel sind für mich Senioren-Bergtouren. Sie werden von ebenso wohlmeinenden wie geschäftstüchtigen Veranstaltern angeboten. Warum ist im Prospekt nicht von einer „leichten“ oder „mittelschweren“ Tour die Rede? Warum wird einem mit dem Wort „Senior“ signalisiert dass man gefälligst dort hinzugehen habe wo solche „alten, nutzlosen, verbrauchten“ Typen hingehören?
Andererseits — ganz frei von Eitelkeit ist man im Alter nicht. Vor einiger Zeit kletterte ich mit meinem langjährigen Seilpartner Konrad die Untersberg Südwestwand im Berchtesgadener Land. Sie steht als Sechs-Minus-Tour im Kletterführer. Nachher im Stöhrhaus ging ich zum Tresen, bestellte eine Radlermaß. Ein einheimischer Bergwanderer berichtete dem Hüttenwirt ganz aufgeregt was er gerade gesehen habe: „stell dir vor, da kimmt a Grabhaariger (Grauhaariger) und a Bladderda (einer mit Glatze) vo da Südwest aussi — glam’ (glauben) mext das ned wia’s no beinand san de oiden Loder!“
Wäre gelogen wenn ich nicht zugeben würde, dass ich dieses versteckte Kompliment nicht mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis genommen hätte.
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