Manchmal ist es vertrackt: Die besten Vorsätze und alle Anti-Streit-Coachings helfen nichts mehr: Dann geht unsere Natur mit uns durch und wir haben den schönsten (oder schlimmsten) Streit. Doch sind solche Auseinandersetzung wirklich in uns Menschen angelegt? Oder wären sie doch vermeidbar?
Professor Frederic Vester, Biochemiker, Gründungsmitglied des BUND und hochgeschätzter Berater, hat zeitlebens viele kluge Bücher geschrieben: über vernetztes Denken, die Stressbelastung in dicht besiedelten Großstädten und auch über das Phänomen Streit. Eine Aussage dazu hat mich besonders beeindruckt: Streit beginnt in der Regel harmlos, um sich dann oft genug hoch zu schaukeln, bis keiner mehr weiß, um was es wirklich geht. Man läuft in dem einmal gezimmerten Korridor weiter und notfalls die Wände hoch.
Solche sinnlosen Eskalationen können wir - so Vester - jederzeit stoppen, da wir gemeinhin nicht das logische Ende der Eskalation in Kauf nehmen wollen: nämlich den Anderen zu töten. Das wäre die sozusagen natürliche Konsequenz der Schaukel "Wenn du, dann ich, dann du ...", die einen Disput auf die höchste Spitze treibt. Also müssen wir irgendwann deeskalieren, einer zumindest muss es tun. Ob es der Klügere ist, der nachgibt, darüber ist ebenso viel wie Verschiedenes diskutiert worden. In jedem Fall gilt:
Je früher, desto besser.
Je länger man wartet, desto größer wird der eigene Gesichtsverlust wie auch der des Kontrahenten. Warum also gelingt die Einsicht zum Kompromiss oder Frieden dennoch oft erst, wenn der Partner wütend aus der Wohnung stampft und die Beziehung auf dem Spiel steht, wenn Tarifparteien sich gegenseitig blockiert und beschimpft haben, wenn Kollegen sich schweigend oder mobbend aus dem Weg gehen, wenn in Kriegen ein Gegner am Boden liegt?
Im Tierreich habe ich vor kurzem eine herrliche Streitsituation erlebt. Zwei Amseln stritten sich heftig, rauften sich, Federn stoben und sträubten sich, dann stand der Sieger fest. Dieser trieb den Unterlegenen vor sich her, laut schreiend mit gespreizten Flügeln, die ihn als den Mächtigeren noch größer erschienen ließen. Der Geschlagene rannte davon, den Schnabel weit aufgerissen, aber lautlos. Als der Sieger von ihm abließ, nahm sich der Schwächere einen noch Schwächeren vor: eine Schnecke, die ahnungslos in ihrem Häuschen saß. Die Amsel hackte wie wild und ohne Unterlass auf Haus und Schnecke ein und zog erst davon, also sozusagen nichts mehr zu hacken war. Assoziationen an Konflikte zwischen Menschen liegen durchaus nahe.
Hey, dachte ich, wir Menschen können wohl gar nicht anders.
Ein Stück Amsel trägt wohl jeder in sich. Die Natur ist also offensichtlich einfach stärker als jede Erziehung, jede Bewusstseinsbildung und jedes Argument pro Frieden. Und dann las ich von Fledermäusen. Greifswalder Zoologen haben entdeckt, dass Fledermäuse sich aus dem Weg gehen, wenn es so richtig zwischen ihnen kracht. In simulierten Konfliktsituationen traf die Fledermaus-Kolonie eine kluge Wahl: Sie "spaltete sich für ein bis zwei Tage auf". Dabei zeigte sich folgende Regel: Je größer der Interessenkonflikt war, desto stärker und größer war die Tendenz zur zeitweisen Trennung.
Auch hier erkennt man sich als Mensch gut wieder. Was letztlich heißt, wenn man die beiden Fälle von Amseln und Fledermäusen betrachtet: "Unsere Natur" ist nicht so oder so, sie lässt uns die Wahl. Wir können also etwas dafür tun, Konflikte klein zu halten und frühzeitig zu lösen. Keiner zwingt uns zum Hacken und Stechen, Streiten und Fechten, Kämpfen und Bekriegen. Es sei denn, wir unterliegen uns selbst, der Schwäche, uns stärker machen zu wollen als andere.
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