Ein erheblicher Teil der deutschen Bevölkerung, vorwiegend aus deren unterem Drittel, zieht sich immer weiter aus den politischen Willensbildungsprozessen zurück. Besonders deutlich wird das bei der Wahlbeteiligung. Der Unterschied zwischen dem Zehntel der Wahlkreise mit der höchsten und dem mit der niedrigsten Beteiligung hat sich bei Bundestagswahlen seit 1972 von 5,4 auf über 15 Prozent fast verdreifacht. Bei den kleineren Stimmbezirken liegt die Differenz inzwischen sogar bei fast 30 Prozentpunkten. Besonders häufig zur Wahl geht man in den gutbürgerlichen Wohnvierteln mit geringer Arbeitslosenquote, hohen Einkommen und Bildungsabschlüssen, besonders selten in den Wohnvierteln mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Bildungsstand. Arbeitslosigkeit ist dabei der die Wahlbeteiligung mit Abstand am stärksten beeinflussende Faktor.Wenn "die da unten" nicht mehr wählen gehen, so liegt der wesentliche Grund darin, dass sie sich von "denen da oben" nicht mehr vertreten und zunehmend auch aus der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen. Sie ziehen sich daher immer häufiger einfach resigniert zurück. Für die Zukunft der parlamentarischen Demokratie und der Gesellschaft insgesamt ist das eine dramatische Entwicklung. [1]
Ein Ergebnis dieser Entwicklung war mit großer Sicherheit Pegida.
Ein weiteres war eindeutig und klar während der beginnende Entwicklung der AfD zu hören: Der Ruf nach der Änderung der Wahlgesetze dahingehend, dass z. B. nur noch Bürger eines bestimmten Bildungsstandes für politische Ämter kandidieren darf. Konrad Adam stand mit seiner Idee, den sogenannten "unteren Schichten" das Wahlrecht abzuerkennen, nicht allein. Auch der zum wissenschaftlichen Beirat gehörende Volkswirtschaftsprofessor Roland Vaubel stellte Überlegungen in diese Richtung an. In seinem Beitrag Der Schutz der Leistungseliten in der Demokratie diskutierte er, wie die sogenannten "Leistungseliten" "vor der Tyrannei der Mehrheit geschützt werden können". Er wurde fündig in "Solons Verfassung" [2]:
"Solons Verfassung unterschied zwischen dem aktiven und dem passiven Wahlrecht. Zwar waren alle vier Klassen von Wahlbürger in der Volksversammlung gleichermaßen stimmberechtigt, aber Mitglieder der untersten Klasse durften nicht für politische Ämter kandidieren."
Lichtschlag hatte am 19.09.2006 in der WELT geschrieben: "Wählen dürfen in Zukunft nur noch die Nettosteuerzahler, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft. Ein solcher Wahlrechtsentzug für die Unproduktiven wurde bereits in den 70er-Jahren von Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek angedacht und kürzlich von Ökonomieprofessor Hans-Hermann Hoppe aus Las Vegas präzisiert."
Auch der zum wissenschaftlichen Beirat der AfD gehörende Volkswirtschafts-professor Roland Vaubel stellte Überlegungen in diese Richtung an. [3]
Solches Denken ist reiner Rechtspopulismus. Rechtspopulismus ist der Demokratie gegenüber weder ambivalent noch positiv, sondern destruktiv. Er betritt das demokratische Spielfeld, missbraucht aber seine Regeln, um antidemokratische Inhalte zu verbreiten. Es bedarf einer wachen Öffentlichkeit, um dieser schleichenden Aushöhlung des demokratischen Diskurses entgegenzuwirken. [4]
Populisten schaden Europa. Sie tarnen sich als Demokraten, doch hinter der Maskerade verbergen sich hässlich-autoritäre Fratzen.
Im Artikel 18 Grundgesetze heißt es: "Wer die Lehrfreiheit zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte." Was der Volkswirtschaftsprofessor Roland Vaubel hier unterstützt und verkündet: "Mitglieder der untersten Klasse durften nicht für politische Ämter kandidieren" steht im krassen Gegensatz zu der demokratischen Konstitution der Bundesrepublik.
Und hier, in einer Community für Respekt und Wertschätzung, Offenheit und Toleranz musste ich einst den idiotischen Text eines Schreiberlings lesen, der sich auf unnachahmliche Weise traute, rotzfrech und auf undemokratische Art und Weise zu formulieren:
"Das gemeine Volk ist nicht entscheidend, ob es fleißig oder weniger fleißig ist.
Entscheidend ist für jedes Volk seine geistig-moralische Elite, insbesondere seine Forscher, Wissenschaftler, Akademiker, Lehrer, Professoren, Ingenieure und natürlich auch die politische Elite, weil diese es sind, die a) die Strukturen schaffen, in welchen das gemeine Volk sich dann einbringen kann und b) weil hier die Innovationen stattfinden, die dann allen zugute kommen.
Muss unsere Form der Demokratie von Grund auf erneuert werden? Müssen wir sie in diesem Jahrhundert von einer unqualifizierten in eine qualifizierte Demokratie überführen, in welchem das aktive Wahlrecht an bestimmte Qualifikationen, wie ein Mindestmaß an politischer, ökonomischer, historischer, soziologischer und moralphilosophischer (= ethischer) Bildung gekoppelt ist?
Qualifizierte Demokratie? Der Mann ist nicht nur unbeleckt von der griechischen Geschichte der Demokratie, er ist durchgehend ahnungslos. Was dieser Dünnschiss darüber hinaus ist, nennt man schon über 2.000 Jahre lang Timokratie (die Herrschaft der Angesehenen) - nicht so verklausuliert und verschroben: "qualifizierte Demokratie"
[1.] Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung
[2.] Solon (etwa 640 v. Chr. - um 560 v. Chr.) war athenischer Staatsmann. Er hat als Gesellschaftsanalytiker, Politiker und Reformer in einer tiefgreifenden Krise der attischen Polis, außergewöhnliches Ansehen gewonnen. In der Antike wurde Solon unter die sieben Weisen Griechenlands gezählt. Die moderne Forschung beschäftigt vor allem sein politisches Denken und Handeln als Wegbereiter einer Entwicklung, die in Athens klassischer Zeit zur attischen Demokratie führte.
[3] Quelle: Andreas Kemper
[4] Quelle Pauala Diehl
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